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Ferien vom Ich

Ferien vom Ich

Titel: Ferien vom Ich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Keller
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dem Kammerfenster der Magd nicht einstelle, quittierte der beleidigte Künstler seinen Posten und übergab die Abzeichen seiner Würde an seinen Berufsgenossen, den Bassisten Hagen Korrundt, wobei er mit einiger Abänderung des Lohengrin-Textes sang:

»Den Spieß, dies Horn, den Pelz will ich dir geben.
Das Horn soll in Gefahr dir Hilfe schenken,
Der Spieß im wilden Kampf dir Mut verleiht,
Doch in dem Pelze sollst du mein gedenken,
Der jetzt auch dich aus Schmach und Not befreit.«

    Die »Schmach und Not«, aus der Hagen Korrundt befreit wurde, bestand darin, daß er, der ein starker Mann war, ein paar Stunden am Tage dem Waldschölzer hatte helfen müssen, Bäume zu fällen. Jetzt war er als Nachtwächter vom Tagesdienst befreit. Abends um zehn Uhr bestieg Hagen einen großen Granitblock, den er den »Fafnerstein« getauft hatte, stand malerisch dort oben in seinem wilden Zottelpelz mit seinem langen Spieße und seinem funkelnden Horn, sang mit dröhnendem Baß die Stunde, kletterte dann vom Fafnerstein wieder herab und ging schlafen.
    Die Kur bekam Herrn Hagen Korrundt sehr gut. Er erzählte mir in der Sprechstunde, daß er früher an einem chronischen Hungergefühl, das wahrscheinlich auf nervöser Grundlage beruhte, gelitten habe, seit er aber bei uns sei, sei er aller Beschwerden ledig. Als ich daraufhin der Köchin in der Waldschölzerei ein Lob erteilt, sagte das Weiblein nur zwei Worte: »Er frißt!« - Es ist ein Schauspieler da, der mit seinem wirklichen Namen Eduard Käsenapf heißt. Als Künstler nennt er sich Guido Janello, bei uns aber, da er doch nicht erkannt sein darf, Knut Waterstream.
    Dieser Knut Waterstream ist dünner als ein Regengerinnsel. Ich schickte ihn zur Arbeit in die Gärtnerei. Einiges erzählte mir der Gärtner, einiges beobachtete ich selbst, wie Knut arbeitete. Er sollte dürres Laub zusammenrechen und flüsterte den braunen Blättern zu:

»So wie ein Blatt vom Wipfel fällt,
So geht ein Leben aus der Welt,
Die Vögel singen weiter!«

    Stützte sich auf den Rechenstiel und stand eine Viertelstunde lang in melancholischer Betrachtung über die Verwelkbarkeit des Laubes und anderer irdischer Dinge. Darauf übergab er dem Gärtner den Rechen und sagte:
    »Tun Sie dieses Totengräbergeschäft; ich vermag es nicht!« Ein andermal sollte Knut ein Beet ausjäten. Er ging siebenmal mit düsterem Antlitz um das Beet herum, spreizte dann alle zehn Finger über dies neue verruchte Arbeitsfeld und deklamierte:

»Giftiges Kraut, gesäet mitten unter den Weizen, O du teuflische Saat, wie bist du vom Feinde gestreut! Satanas hat sich dein Korn in höllischen Scheuern gestapelt, Hat mit beklaueten Fingern diese Aussaat verrichtet, Daß du nun wucherst und wächst dem güldenen Weizen zum Schaden, Daß du die Sonne ihm stiehlst, den nächtlichen Tau der Gestirne. Weiche, du teuflische Brut, verkrieche dich tief in den Boden, Krieche zur Hölle zurück, zum Satan, von dem du gekommen, Nie mehr soll dich erblicken mein schwer beleidigtes Auge, Einzig soll es sich freuen am goldenen Schimmer des Weizens!«

    Daraufhin hat der Gärtner Herrn Knut Waterstream belehrt, daß das, was er als Weizen anspreche, in Wirklichkeit junger Kopfsalat sei und daß sich gegen das Unkraut mit Beschwörungen nichts ausrichten lasse. Man müsse das Zeug Stück für Stück mit der Wurzel aus der Erde herausziehen; anders gehe es nicht. »Lieber Freund«, hat da Knut Waterstream mit melancholischer Stimme erwidert, »wir verstehen uns nicht!« Dann ist er gesenkten Hauptes nach Hause gegangen.

    Es soll der Sänger mit dem König gehen. Sänger hatten wir von Anfang an genug; am 10. Mai kam der König an. Ein wirklicher König war es zwar nicht, aber immerhin der Bruder eines regierenden Fürsten, eine Hoheit. Um diese Zeit versandte unser Propagandachef folgende Notiz an dreihundert Zeitungen:
    »Der Andrang nach der Kuranstalt >Ferien vom Ich< zu Waltersburg, der besten und originellsten Heilstätte der Welt, ist enorm. Die ermüdete Intelligenz flüchtete in unseren Frieden; die heimatlosen Kinder der Welt kommen auf ein Weilchen zurück ins grünbelaubte Mutterhaus der Natur. Künstler von Weltruf, Mitglieder europäischer Regentenhäuser sind bei uns eingekehrt. Wie romantisch, wenn ein Heldentenor, der vergötterte Liebling allen Volkes, bei uns als schlichter Nachtwachmann mit funkelndem Speer und silbernem Horn durch die im Sternenschein liegenden Gassen schreitet, die Stunden singend, wie es in alten Tagen

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