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Ferien vom Ich

Ferien vom Ich

Titel: Ferien vom Ich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Keller
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Waltersburger Kuranstalt zu übernehmen und auch fernerhin die baulichen Unternehmungen dort zu leiten. In diesem Falle möge ich mit der Waltersburger Direktion, die verständigt sei, in Verbindung treten. Ich bin nach Lage der Verhältnisse gar nicht abgeneigt, der Sache näherzutreten, und freue mich jetzt, daß Du bereits Dein Interesse für das jedenfalls sehr aussichtsreiche Waltersburger Unternehmen bekundet hast. In den nächsten Tagen werden wir uns sehen.«
    Ich gab Eva den Brief zurück.
    »Sie werden nicht glauben, daß ich eine Ahnung von diesen geschäftlichen Dingen gehabt habe«, sagte sie ängstlich. »Gewiß nicht; ich habe selbst auch davon nichts gewußt.« Ihre Stirn war finster.
    »Es ist schwer für mich, das zu sagen - aber Sie sollen mich nicht falsch beurteilen; es gefällt mir nicht von meinem Vater, daß er von den Neustädtern zu den Waltersburgern übergeht. Er hätte drüben Stange halten müssen - jetzt erst recht!«
    »Braves, liebes Mädel!« dachte ich; doch ich sagte, um sie zu beruhigen:
    »Sie sind ja auch zu uns gekommen!«
    »Das ist etwas anderes. Ich bin nicht Eva Bunkert, ich bin Hanne vom Forellenhof. Ich schade den Neustädtern nichts. Aber mein Vater - der Gründer von allem! Wenn der Übertritt!«
    »Fräulein Eva, Ihr Vater ist wohl längst da drüben nicht mehr ganz mit dem Herzen dabei. Seine ursprünglichen Waldheime sind dem öden Hotelbetrieb gewichen. Ich glaube, er mag darunter gelitten haben. Kaltherziger Geschäftskonzern spricht allein in Neustadt. Wenn sich nun Ihrem Vater ein Feld neuer Tätigkeit bietet, das ihn mehr befriedigt, ist es recht von ihm, wenn er zusagt.«
    »Sie sind ein lieber Mensch«, sagte sie dankbar, und meine
    Augen flammten auf, und auf einen Augenblick war es mir, als flöge meine Seele einem seligen Lande zu. Das Herz stockte, der Atem setzte auf Sekunden aus, ein seliger Taumel faßte mich . . .
    Draußen an der Tür erhob sich ein Singen:

»Abend wird es wieder:
Über Wald und Feld
Säuselt Frieden nieder,
Und es ruht die Welt.«

    Das alte Abendlied wurde von vierstimmigem Chor gesungen. Da öffnete der lange Ignaz das Tor. Er hatte in der Nische gelehnt, und ich hatte ihn vorher gar nicht gesehen. Vielleicht hatte er alles gehört, was wir gesprochen hatten. Jetzt blickte er mich mit finsterem Gesicht an. Aber ich beachtete ihn gar nicht. Ich sah auf die Sänger, die durchs Tor zogen. Sensen und Rechen trugen sie über die Schultern, alle mit Feldblumen geschmückt, voran schritt Emmerich, der Chormeister, mit einem mit Kornblumen geschmückten Taktstock:

»Nur der Bach ergießet
Sich am Felsen dort,
Und er braust und fließet
Immer, immerfort.
So in deinem Streben
Bist, mein Herz, auch du,
Gott nur kann dir geben
Wahre Abendruh!«

    Als letzte in der Reihe kamen die kleine Luise und eine Frau, die das Kind an der Hand führte. Diese Frau war wohl noch jung; sie war von hoher, schöner Figur. Das Gesicht konnte ich nicht sehen, weil das bunte Kopftuch, das sie trug, weit vorgeschoben war. Luise, die jetzt sehr häufig auf dem Forellenhofe war, schmiegte sich dicht an ihre Begleiterin.
    »Wie heißt die Frau, mit der Luise geht?« fragte ich Eva. »Sie nennt sich Magdalena, ist sehr still und bleibt fast immer für sich allein. Aber das Kind hängt an ihr.«
    Behutsam zog ich mein Notizbuch. Dort hatte ich die Kurgäste des Forellenhofes verzeichnet.
    »Magdalena . . . geschiedene Frau Kaufmann Agnes Blassing aus Aachen, behandelnder Arzt Dr. Michael« stand dort verzeichnet.
    Das Abendlied verklang; die Leute zerstreuten sich unter Lachen und Scherzen. Ein paar wuschen sich an der Brunnenröhre oder am Bach; die meisten aber zogen doch vor, ihre Abendtoilette auf dem Zimmer zu besorgen.
    Draußen auf der Straße knarrte noch ein Wagen. Trotzdem schloß der lange Ignaz das Tor. Das war eine neue Heimtücke von ihm; denn vor dem Tor stand Piesecke mit einem Fuder Klee und wußte nicht, wie er es anstellen solle, die Zügel der Pferde, von denen eines sehr unruhig war, nicht loszulassen und doch an das Tor zu klopfen.
    So schrie er: »Es ist zu! Es ist zu! Bitte, machen Sie gefälligst auf!«, und es klang wie ein jammernder Hilferuf. Die Leute, die noch im Hofe waren, lachten, und niemand dachte daran, Piesecke in seiner Not beizustehen. Da eilte die kleine braune Anneliese über den Hof und versuchte das schwere Tor zu öffnen. Ich half ihr dabei, und ich sah zum erstenmal, wie reizend dieses Mädchen war. Wie eine süße, junge,

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