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Ferien vom Ich

Ferien vom Ich

Titel: Ferien vom Ich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Keller
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Methusalem schnitt ein Gesicht hinter ihr, das deutlich ausdrückte: »Lohnt nicht den Faßboden!« Dann sagte er: »Ich bin kein Zeichner; ich bin ein Feldarbeiter. Und das Schubkarrenfahren ist wichtiger für Sie, Cenzi, als das Geporträtiertwerden. Sie haben drei Heukappen auf einen Platz zusammengetragen und waren daher mit Recht so erschöpft, daß Sie per Achse nach Hause gebracht werden mußten.«
    »Er ist über so viele Steine hinweggefahren«, klagte Cenzi; »ich bin buchstäblich wie gerädert.«
    »Das wird besser werden, Cenzi«, tröstete Methusalem, »wenn unser Vater Barthel erst einen Schubkarren mit Federung und Gummirad angeschafft hat. Es ist ein Skandal, daß er noch keinen solchen besitzt. Er ist ein rückständiger Landwirt.«
    »Oh, Sie Spötter!« flötete Cenzi; »aber passen Sie auf, morgen habe ich wieder drei Pfund abgenommen. Denken Sie, Herr Doktor, neun Pfund habe ich bei Ihnen in zwei Wochen abgenommen, und das ohne jede Medizin.«
    Sie setzte sich zu mir und wollte mich in den Zauber eines Gesprächs über ihren Gesundheitszustand verwickeln; ich aber sagte, sie möge das alles ihrem Arzt in der Sprechstunde mitteilen. Da war sie auch zufrieden.
    Ein Hilfsbriefträger erschien. Er übergab Eva einen Brief. Den Brief hatte die Reichspost mit der richtigen Adresse im Rathaus abgegeben. Dort war der Brief in einen neuen Umschlag gesteckt und mit »Hanne - Forellenhof« adressiert worden. So hatte ihn der Hilfsbriefträger überbracht. Er blieb nach dieser Amtshandlung wartend stehen.
    »Nanu, Briefträger«, sagte Methusalem, »Sie warten wohl auf ’n Trinkgeld? Sie wissen doch, daß wir alle in diesen gesegneten Landen nicht ’n roten Heller in der Tasche haben.«
    »Eine Zigarre möcht’ ich gern«, sagte der Briefträger. »Gibt’s nicht«, schimpfte Barthel aus der Haustür heraus. »Drei Stück sull a bloß am Tage roochen und die kriegt a ooch täglich geliefert. Nu is a extra Briefträger geworden, daß a in a Höfen um Tabak rumschnorr’n kann.«
    Der Briefträger (er war im Zivilleben Fabrikbesitzer im westfälischen Industriebezirk) machte einen niedergeschlagenen Eindruck.
    »Drei Stück so leichte Zigärrchen ist ja nichts für einen, der ein so starker Raucher gewesen ist«, sagte er. »Die drei Dingerchen hole ich mir früh um sieben ab und verrauch’ sie alle drei nach dem Frühstück. Und dann habe ich den ganzen Tag nichts.«
    »Trösten Sie sich«, sagte Barthel grob, »vielleicht werden Sie ooch noch gescheit um ’n Kopp!«
    Nur die dicke Cenzi war mitleidig. Sie hatte sich eben eine Zigarette angesteckt und sagte:
    »Briefträger, ich krieg bloß zwei Stück am Tag. Aber Sie dürfen einmal dran ziehen.«
    Sie steckte dem Briefträger ihre Zigarette in den Mund und der sog sich gierig daran fest, blies den Rauch durch die Nase, sog so fest, daß er binnen Sekunden die ganze Zigarette aufgefressen hätte, wenn Cenzi sie ihm nicht entrissen hätte.
    »Den lass’ ich nie wieder ziehen!« sagte sie empört. Eva hielt ihren Brief in der Hand. Sie war ein wenig unruhig geworden. »Er ist von meinem Vater«, sagte sie leise zu mir. »Begleiten Sie mich bis zum Tor!«
    »Also«, fuhr sie fort, während wir langsam gingen und sie sich auf mich stützte, »hat er meinen Aufenthaltsort erfahren. Ich mag den Brief jetzt nicht lesen. Ich weiß, daß er nichts Erfreuliches enthält, und ich will mir den schönen Abend nicht verderben.«
    So war der alte Streit zwischen Waltersburg und Neustadt in einer ganz neuen Form wieder ausgebrochen. Die Tochter des Konkurrenten war bei uns zur Kur, und der Vater protestierte. Anders konnte es nicht sein.
    »Es wäre sehr, sehr schade, wenn Sie unser Heim verlassen müßten«, sagte ich und fühlte, daß eine heiße Angst in mir aufstieg. Sie sah finster zu Boden.
    Dann riß sie den Brief auf.
    »Ich will nicht feig sein!«
    Sie las - las - staunte. Dann reichte sie mir den Brief.
    »Oh! Das hätte ich nicht gedacht! Lesen Sie!«
    »Liebes Kind! Es ist ja nicht nett von Dir, daß Du hinter meinem Rücken ins Lager unseres sogenannten Feindes übergegangen bist. Aber die Sache kann sich noch gut zurechtschieben. Die Neustädter, deren ganzer Sache ich auf die Beine geholfen habe, machen mir schon seit langem das Leben sauer und möchten mich nach und nach übrigmachen. Nun erhielt ich gestern von Mister Stefenson aus Amerika einen Brief, in dem er mich fragt, ob ich geneigt sei, den Bau der noch fehlenden zwanzig Höfe in der

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