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Ferien vom Ich

Ferien vom Ich

Titel: Ferien vom Ich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Keller
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romantische Vorgeschichte gehabt. Das jungfräuliche Herz Paulines pendelte. Es pendelte zwischen unserem Schulzensohne und einem jungen Gastwirt aus Neustadt hin und her, und so gerieten die beiden Kavaliere in die übliche Rivalenwut und vergerbten sich bei guter Gelegenheit die beiderseitigen Felle. Bis dahin wäre alles in Ordnung gewesen; aber nun mischte sich Piesecke ein und brachte romantischen Schwung in die Geschichte. Piesecke war eines Sommertages in Neustadt gewesen und hatte sein Rößlein in der kleinen Ausspannung des dortigen Paulinenverehrers untergestellt. Von ungefähr hatte er dann von der Sommerlaube im Gärtchen aus dem Gespräch zweier Neustädter Burschen gelauscht, die sich verschworen, mit ihrem Freund, dem Gastwirt, und noch zwei anderen am nächsten Mittwoch gen Waltersburg zu ziehen, und falls sie in der Dämmerung am Gartenzaun des Forellenbauern den Schulzensohn im traulichen Gespräch mit Pauline erwischten, diesen greulich zu verbleuen, auch sonst an umherschweifendem Burschenvolk des verhaßten Waltersburg ihr Mütchen zu kühlen.
    Als Piesecke solches hörte, kam sein fürstliches Blut in Wallung. (Piesecke stammt aus einer Heldenfamilie. Sein Urgroßvater hatte als General in fünf Treffen gegen Napoleon I. nicht gesiegt!) Während er nun gen Waltersburg heimfuhr, entwarf Piesecke einen Feldzugsplan, wie dem Anschlag der Neustädter siegreich zu begegnen und die Ehre Waltersburgs zu retten sei. Er warb zunächst ein Heer. In dasselbe traten mit großer Begeisterung außer dem Schulzensohn der Komponist Emmerich sowie der Maler Methusalem vom Forellenhof, auch der Sänger Hagen Korrundt, der immer noch bei uns nachtwächterte, und die gegenwärtigen Insassen unserer Räuberhöhle. Diese letzteren waren vier fragwürdige Gestalten, die sich Schinderhannes, Karaseck, Jaromir und Moor nannten, ein faules, unordentliches Leben führten und nun froh waren, daß sie einmal etwas Rechtes zu tun bekamen. Acht Mann und er, Piesecke, als Anführer gegen fünf Neustädter - mit dieser beträchtlichen Übermacht, hauptsächlich aber durch seine überlegene Strategie, hoffte der Nachkomme des Napoleonkämpfers den Sieg zu erringen. In der Räuberhöhle hatte Piesecke seinen Plan entwickelt. Die Schlacht sollte nicht am Gartenzaune stattfinden; denn erstens überlasse ein guter Feldherr die Wahl des Schlachtfeldes nie seinem Gegner, sondern bestimme selbst, wo er sich schlagen wolle, und zweitens könnten am Gartenzaun Vater Barthel und Frau Susanne dazukommen, und dann gäbe es ein Malheur. Anton sollte vielmehr im Abendscheine mit seiner Braut weiter den Wiesenweg gen Waltersburg hinabwandeln bis zweihundert Schritt hinter die nächste Waldecke und daselbst dicht am Bach abwarten, bis er von den lauernden Neustädtern angefallen würde. Alsbald würde er ihm mit noch sechs Mann zu Hilfe eilen, die überraschten Neustädter würden - die Übermacht erkennend und bedrückt durch ihr schlechtes Gewissen - die Flucht hinab gen Waltersburg ergreifen wollen, aber da würden Moor und Schinderhannes, die weiter unten in den Hinterhalt gelegt werden, hervorbrechen, den Neustädtern den Weg verlegen und - die ganze Rasselbande sei gefangen. Er wolle ein für die Neustädter sehr demütigendes Dokument aufsetzen, das die Gefangenen unterzeichnen und in dem sie ihre völlige Niederlage zugeben müßten, und dieses Dokument solle in der Räuberhöhle unter Glas und Rahmen aufbewahrt werden als ein Zeichen, daß der langjährige Kampf zwischen Waltersburg und Neustadt mit dem endgültigen Sieg der Waltersburger geendet habe. Dem unbequemen Mitbewerber um Pauline aber werde man zu einem unfreiwilligen Bad im Bach verhelfen, wodurch alle wärmeren Gefühle, die die Jungfrau etwa in ihrem Herzen noch für den Gastwirt hegen sollte, abgekühlt werden würden; denn er, Piesecke, wisse aus seinem eigenen bewegten Leben aus vielen Fällen, daß nichts so sicher die Liebe des Weibes ertötet, als wenn der Geliebte vor ihr lächerlich gemacht wird. Während dieser Ausführungen hatte
    Emmerich bereits auf den Tisch einen Siegesmarsch komponiert und Methusalem auf der einen weißgetünchten Wand die Umrisse zu einem Triptychon großen Umfangs entworfen. Die Seitenteile des Bildes sollten die »Tücke« und der »Kampf« heißen, das Mittelstück aber »Der Sieg«.
    Die »Tücke« würde Anton und Pauline im Dämmerlicht dahinwandelnd und von den Neustädter Unholden belauert zeigen, der »Kampf« eine besonders

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