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Ferien vom Ich

Ferien vom Ich

Titel: Ferien vom Ich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Keller
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seufzen:

»Oh, darum ist der Lenz so schön,
Mit Duft und Strahl und Lied,
Weil singend über Tal und Höh’n
So bald er weiter zieht.«

    Oder, weil ihm eben einfiel, daß gar nicht Frühlingszeit sei:

»Herbstlich sonnige Tage
Mir beschieden zur Last,
Euch mit leiserem Schlage
Grüßt die atmende Brust
Oh, wie waltet die Stunde
Nun in seliger Ruh;
Jede schmerzende Wunde
    Schließet leise sich zu.«

    Der eiskalt schließende Jurist hatte sich ganz in die süßen goldenen Melodien Geibelscher Lyrik eingesponnen. Und darum wohl hatte er des Dichters Namen für seine Ferien vom Ich gewählt. Die Gegensätze berührten sich auch hier. Diesem Emanuel Geibel begegnete Gottfried Stumpe, als er sich an jenem feuchtkalten Herbstmorgen nach der Abgießung »trocken lief«. Die Begegnung war nicht ganz zufällig. Gottfried wußte, daß Emanuel abreiste. Er habe nur sechs Wochen Urlaub, hatte Geibel ihm gesagt, er könne nicht länger abkommen. Natürlich, es gab eben im Justizdienst unersetzliche Kräfte.
    Wortkarg stiegen die beiden Freunde miteinander zum »Zeughaus« hinunter.
    »Nun gehe ich da hinein«, sagte Emanuel traurig, »und komme nicht mehr durch diese Tür in unser liebes Heim zurück, sondern trete auf der anderen Seite in meinem Weltanzug auf die Straße hinaus, die ins kalte Leben zurückführt. Ach, mein Freund, mir ist sehr schwer ums Herz. Ich wollte, wir wären jetzt oben im Walde und suchten Pilze. Ich hab’ dich gern gehabt.«
    Gottfried Stumpe wandte sich zur Seite. Emanuels Seele aber wurde wieder vom Geiste seines Meisters umfangen, und er sagte mit leisem Beben:

»Wenn sich zwei Herzen scheiden,
Die sich dereinst geliebt,
Das ist ein großes Leiden,
Wie’s größ’res nimmer gibt;
Es klingt das Wort so traurig gar:
Fahr’ wohl, fahr ’ wohl auf immerdar!
Wenn sich zwei Herzen scheiden,
Die sich dereinst geliebt.«

    Wohl verwunderte sich Gottfried über diese große Zartheit, aber sie packte ihn, und die Augen wurden ihm feucht.
    Der Freund ging hinein ins Zeughaus. Auf der anderen Seite würde er nun hinaus auf die Straße treten, die aus diesen friedlichen Ferien zurückführte in die harte Schule des Lebens. Gottfried ging um das Zeughaus herum und gelangte durch ein Seitenpförtlein ebenfalls hinaus auf die Straße. Er wollte den Freund noch einmal sehen. Mochte er zu spät auf Barthels Feld kommen, es war ihm einerlei.
    Nach einer Viertelstunde kam Emanuel. Fast hätte ihn Gottfried in dem nüchternen Reiseanzug nicht erkannt.
    »Ah, da bist du noch!«
    »Ja, ich wollte dich noch einmal sehen.«
    »Das ist lieb von dir!«
    Emanuel zog die Uhr - eine einfache silberne Taschenuhr.
    »Ganz fremd mutet mich das Ding an. Es ist so grausam pedantisch. Es zählt Minuten und Sekunden. Drinnen in der Heimat ist es besser, da dürfen einem nur eine Glocke oder der Großknecht oder Mond und Sterne sagen, wie spät es ist. Und dann das Geld, das bedrückt mich am meisten. Was soll ich mit den paar Kröten tun? Mir eine Burg des Glücks davon bauen? Lieber Gott!«
    »Du wirst noch hoch hinauf kommen!« tröstete ihn Gottfried.
    »Nein!« sagte Emanuel bitter. »Da drinnen, da ist es ja geboten, über das eigene Ich zu schweigen. Aber hier draußen auf der Landstraße will ich mich dir gegenüber nicht verbergen. Ich hab’ Pech gehabt. Hätt’ gern studiert. Aber wie ich in der Unterprima war, starb der Vater. Da mußte ich abgehen von der Schule. Wurde ein Subalternbeamter. Ich bin Sekretär am Amtsgericht zu H.«
    »Emanuel!«
    Gottfried rang die Hände ineinander. Ein Subalternbeamter! Dieser Ministerstürzer! Dieser List-Kritiker! Dieser gewaltige Umstürzler von oben! Ein Sub - sein Duzbruder! Wenn das sein akademischer Stammtisch wüßte!
    »Emanuel!«
    Gottfried stand so verdattert da, daß in die weichen Züge Emanuel Geibels wieder die essigsaure Schärfe trat, die aber doch nur zu den resignierenden Worten führte:
    »Gottfried! Sie waren da drinnen Gottfried und ich Emanuel - wer wir draußen sind, braucht uns nicht mehr zu kümmern, braucht Sie nicht zu genieren.«
    »Ich bin Amtsgerichtsrat Doktor Stein«, sagte Gottfried noch ganz benommen.
    »Dann erlaube ich mir, dem Herrn Amtsgerichtsrat eine weitere erfolgreiche Kur zu wünschen«, sagte Emanuel höflich, verneigte sich tief, ergriff seine kleine Handtasche und wollte gehen. Da aber hatte ihn Gottfried am Arm.
    »Nein, lieber Emanuel, wir bleiben Freunde - auch draußen -, verstehst du? Von dem blödsinnigen Kastengeist bin ich

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