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Ferien vom Ich

Ferien vom Ich

Titel: Ferien vom Ich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Keller
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Und was meinen Sie, was ich selbst von dieser Idee, die mir gefiel und für die ich viel Geld gewagt habe, gehabt hätte, wenn ich als Mister Stefenson dageblieben wäre? Der Direktor wäre ich gewesen, einen langweiligen Verwaltungsposten hätte ich gehabt, nichts von dem Zauber trauten Geborgenseins, den unsere Anstalt spendet, hätte ich genießen können. Nein, am eigenen Leibe wollte ich ausprobieren, wie es tut, wenn man Ferien macht vom Ich. Deshalb wurde ich Bauernknecht. Ich habe mich wohlgefühlt als >langer Ignaz<, ich habe beobachtet, erlauscht, geprüft von unten her, was an unserer Sache ist, ob sie absurd, phantastisch, unfruchtbar, oder ob sie im Kern echt und gut ist, und ich hatte das Glück zu sehen, daß wir auf dem richtigen Wege sind. Nicht nur die gute geschäftliche Bilanz, die ich erwartet hatte, hat mich belehrt, daß ich mich unserer Gründung freuen darf, sondern das, was ich sah und hörte, als ich unerkannt mitten unter den Feriengästen war.«
    »Sie haben auch mich prüfen wollen?« sagte ich.
    »Ja, auch Sie! Ganz natürlich. Ich werde wieder nach Amerika zurück müssen, weil leider meine Ferien aus sind, und ich will wissen, wem ich das Werk hier, ich kann sagen, den Liebling unter all meinen Unternehmungen, den einzigen Ausflug ins Romantische, den ich je gemacht habe, hinterlasse. Ich kann ruhig scheiden. Ich werde jetzt wirklich hinübergehen. Weil ich muß! Weil mich die Pflicht ruft. Ich weiß, das Heim ist in guten Händen. Und eines, lieber Freund, vergesse ich Ihnen mein Lebtag nicht. Es gab einen Sommerabend, an dem Sie die Hände ausstreckten nach der schönen Hanne. An diesem Abend fanden Sie meinen Brief, in dem ich Ihnen sagte, daß ich Fräulein Eva Bunkert, die Fo-rellenhof-Hanne, als meine Braut betrachte. Und seit diesem Abend sind Sie dem Mädchen aus dem Wege gegangen. Sehen Sie, das habe ich auch nur als Knecht Ignaz erfahren können, daß ich an Ihnen so einen treuen Freund habe. Das allein lohnt ein halbes Jahr Bauernarbeit.«
    Er sprach mit großer, ehrlicher Wärme. Ich aber sagte: »Sie täuschen sich. Ich hätte das Mädel zu gewinnen gesucht; aber ich wußte, daß sie immer nur an Sie dachte, daß Ihnen ihr Herz gehört.«
    »Ist das möglich? Ist das möglich? Fräulein Hanne will wirklich . . .«
    Der Prinz sank in sich zusammen. Er war plötzlich wieder vollständig Piesecke.

    Es ist noch viel geredet worden; ich weiß nicht mehr, was alles. Schließlich habe ich Stefenson recht geben müssen, daß er sich unerkannt unter unser kurioses Völklein mischte. Was sollte er sich nicht überzeugen, wie seine Gründung wirkte? Ich überwand meinen Unmut, so gut ich konnte, aber ein Stachel blieb, daß Barthel und der Direktor mehr gewußt hatten als ich. Eine Freundschaft zwischen Stefenson und mir wollte ich nicht mehr gelten lassen.
    Piesecke schlich sich ins Heim zurück ohne uns. Er wollte weiterhin Piesecke sein, und vergebens zerbrachen sich unsere Kurgäste die Köpfe, wer der in der »Neustädter Umschau« genannte Prinz sein möge. Der »Verdacht« blieb schließlich auf einem Referendar sitzen, der im Grundhof wohnte und sich die Rolle des heimlichen Herzogs wohl gefallen ließ. Dieser Referendar lehnte alle grobe Arbeit von nun an ab. Die Damen waren entzückt über seine hocharistokratischen Hände. Sie rühmten die edle Zurückhaltung in Ton und Gebärde, die Güte, die nie zur Vertraulichkeit wird, sondern immer Güte bleibt, die Sprache, die trotz ihres leise verschleierten Timbres und ihrer entgegenkommenden Art doch unabweisbare Befehle gibt, die Augen, die so wissend, so durch den Höhenblick von Jugend auf geschärft zu blicken wußten; sie rühmten selbst kleine Nonchalancen, die sich eben nur der unter dem Kronenhimmel Geborene gestattet. Dieser Mann lachte und lächelte nicht; er zuckte nur mit den Mundwinkeln. Er sagte nicht »nein« zu irgendeinem Verlangen, sondern dieses Verlangen erstarb von selbst vor einem einzigen Faltenwölkchen, das sich auf der Stirn des Hohen bildete; er konnte aber auch durch ein einziges freundliches Lidersenken gewähren, »ja« sagen, wie kein anderer Mensch »ja« zu sagen vermag.
    Keine Erziehung führt zu solcher Haltung. Kein Emporkömmling kann sie erlernen. Rasse! Vererbung von Herreninstinkten durch Jahrhunderte! Das ist’s! Und der heimliche Herzog ging in schlichter, leutseliger Würde durch das Gewimmel aller derer, die ihm täglich in den Weg zu laufen wußten. Er empfing keine Besuche - er

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