Ferien vom Ich
Verschluß stehenden Misses von New York bin, die heimlich oft liederlich genug sind; er hat mich, ohne daß ich es wußte, geprüft, und ist nun so gnädig mir zu sagen: du hast deine Prüfung bestanden. Aber ich - ich werfe ihm sein Diplom vor die Füße! Was ist denn die Liebe? Liebe ist doch blindes Vertrauen. Welcher Mann hat denn eine Garantie? Das Mädchen, der Vater, die Mutter, alle Muhmen und Vettern können ihn belügen, wenn sie wollen, er ist machtlos dagegen. Der Mann muß das Mädchen sehen, er muß wie von einer himmlischen Erleuchtung geführt sagen: Du bist rein, ich lege meine Ehre und mein Glück in deine Hände. Sonst. . .«
Sie sank weinend auf den Stuhl zurück.
Hochauf loderte der glimmende Funke meiner Liebe wieder zu diesem schönen Mädchen, als ich so ein ehrliches, weibliches Empfinden sah. In plötzlicher Müdigkeit stützte ich den Kopf in die Hände.
Ich zwang die Welle in meinem Herzen. Es wurde ganz still in mir. Eine unheimliche, aber große Stille. Wie in der Wüste. Nur von ferne hörte ich die Tränen rinnen, wie Wasser einer fremden Oase. Ich hätte lange so mit dem aufgestützten Haupt sitzen mögen. Wieviel Zeit verging, weiß ich nicht. Da hörte ich Evas Stimme:
»Haben Sie keinen guten Rat für mich, lieber Freund?«
»Lieber Freund!« Unter allen Gestirnen, die an unserem Himmel flimmern, ist dieses Wort wohl eines der hellsten. Aber wenn es ein Weib sagt, das man liebt, bekommt dieser Stern ein überweißes Licht, ist wie ein Schimmer aus einer Welt, die in Eiseskälte untergeht.
»Warum sagen Sie nichts? Wissen Sie nicht einmal als Arzt etwas zu sagen?«
Da erhob ich mich.
»Wohl, liebe Eva. Ich glaube, ich kann Ihnen die Sache richtig auseinandersetzen.«
Ich war über mich selbst verwundert. Wie ein trockener, etwas pedantischer Magister sprach ich:
»Sehen Sie, Eva, Sie stecken zu tief in der Romantik! Sie denken sich den Freiersmann so wie Lohengrin, der als Fremdling ans Ufer steigt, die Holde, die von aller Welt geächtet wird, an der Hand nimmt und sagt: >Frei aller Schuld ist Elsa von Brabant.< Und drei Minuten später: >Elsa, ich liebe dich !< Unser Stefenson ist nicht von dieser Schwanenritterart, er fährt auf dem Passagierdampfer, ist hausbacken, nüchtern, verfährt vorsichtig.«
»Verstellen Sie sich doch nicht, lieber Freund! Das ist doch nicht Ihre Art zu sprechen!«
»Doch, doch! Es ist ganz meine Art, so zu sprechen! Eva, ich will Ihnen ehrlich folgendes sagen: Stefenson hat nicht nur Sie prüfen wollen, sondern auch mich, auch unsere ganze Anstalt. Er schätzt wahrscheinlich drei Dinge: Erstens das Geld, das er für ein Unternehmen anlegt (und das ist ihm als Kaufmann durchaus nicht übelzunehmen), zweitens seine Geschäftsfreunde, unter denen er keine unfähigen Gesellen haben will (auch das ist ohne weiteres zu billigen), und drittens die Liebe oder die Ehe, in welcher Richtung er durchaus klarsehen will. Die Beurteilung dieses dritten Punktes wage ich nicht, da ich von Liebe nichts verstehe.«
In diesem Augenblick wurde die Tür geöffnet. Stefenson erschien.
»Ich bitte um Entschuldigung«, sagte er, »und versichere, daß ich an der Tür nicht gehorcht habe. Ich entlasse Dienstmädchen ob solch schmählicher Schwäche. Aber der Herr Doktor hat so deutlich gepredigt, daß jedermann, der den anstoßenden Korridor entlang ging, Wort für Wort verstehen mußte. Darf ich mir zu der Sache das Wort erlauben?«
»Bitte !«
»Erstens mal das Geld. Schön! Ich schätze es! Ich halte es für einen sehr guten Freund. Für einen, der nicht nur die Stube ausmöbliert und das Essen schafft, sondern auch für einen, der einem eine vernünftige Körperpflege gönnt, der die Theater und Museen aufschließt, einen in der Welt herumführt, der gestattet, sich gegen ärmere Mitmenschen anständig zu benehmen, der den Doktor ruft, wenn man krank ist, und der einem schließlich ein Denkmal setzt, wenn sich kein Mensch um den Grabhügel bekümmert, ja, für den einzigen Freund, der einem, wenn man zum Beispiel in der Wut eine Gewalttat begangen hat und ins Zuchthaus oder sonst ins Elend gekommen ist, hinterher wieder die Hand reicht und zu einem ordentlichen Leben zurückverhilft. Ein gutes Bankdepot ist wirklich ein außerordentlich reeller Freund. Nur dumme Kerle und verärgerte arme Schlucker können es leugnen.
Zweitens: Geschäftsfreunde dürfen noch eher in mäßigen Grenzen unreell als dumm, rückständig, faul oder sonstwie borniert
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