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Ferien vom Ich

Ferien vom Ich

Titel: Ferien vom Ich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Keller
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erteilte Audienzen; er plauderte nicht - er hielt Cercle. Mir machte alles dieses soviel Spaß, daß ich den Direktor ersuchte, dem heimlichen Herzog noch auf weitere zwei Wochen die wesentlich erleichterten Zahlungsbedingungen zu gewähren; denn der Referendar hatte bisher nur gelegentlich geringe Remunerationen genossen, und sein Vater, der ein biederer Sattlermeister war, hatte auch nicht viel Geld übrig.
    Das alles hatte mit ihrem Artikel die »Neustädter Umschau« getan. An Piesecke dachte kein Mensch . . . Barthel, der Heimtücker, war inzwischen auch aus der Haft entlassen worden. Er ließ sich bei mir melden, aber es wurde ihm gesagt, ich sei nicht zu sprechen. Da kam er nach einer Stunde mit seiner Susanne wieder.
    »Herr Doktor«, sagte Susanne mit kirschrotem Kopf, »daß er ein Lump ist, weiß ich. Unsern guten Herrn Doktor so zu beschwindeln wegen lumpiger tausend Taler, die er jetzt von Ignaz, der ja Stefenson gewesen ist, Schweigegeld kriegt.
    Was soll uns das Geld? Was geht uns Herr Stefenson an? Wir halten uns an unseren guten Herrn Doktor. Aber, was das Schlimme ist, mich hat er auch beschwindelt mit dem langen Ignaz. So ein Lump! Sein eigenes Weib belügt er. Ich hab’ ihm nie getraut, nie im Leben! Nicht über den Weg! Aber jetzt laß ich mich scheiden; er hat gesessen, und mit einem Zuchthäusler hat eine anständige Frau nichts zu tun.«
    Was blieb mir übrig, als für den in erbärmlichem Zustand dastehenden Barthel Partei zu ergreifen und der empörten Susanne gut und mild zuzureden? Sie wollte aber auf keinen Zuspruch hören. Sie blieb dabei, sie müsse sich scheiden lassen, da er »gesessen« habe. Schließlich weinte sie.
    »Und was er für ein Liedrian ist, Herr Doktor!« schluchzte die brave Frau. »Für die tausend Taler, die er jetzt von Stefenson kriegt, will er sich eine Dreschmaschine kaufen, wo ich ihm doch sage, daß er das Geld lieber in die Sparkasse tragen soll.«
    Da erkannte ich, daß das Barthelsche Eheglück noch nicht hoffnungslos verloren war, und ich entließ die beiden, indem ich sie meines Wohlwollens versicherte.

    Ich saß allein in meiner Klause. Ich war in einer Stimmung, die ich nicht kannte. Wie war das, was ich in den letzten vierundzwanzig Stunden erlebte - war das traurig, war es komisch, war es erbärmlich? Sollte ich lachen, sollte ich zürnen? Sollte mir das Herz weh tun, weil die blonde Hanne fortzog? Sollte ich grollen, weil Stefenson dem Direktor und einem Bauern mehr Vertrauen geschenkt hatte als mir, den er seinen Freund nannte?
    Sollte ich mich ärgern über den Barthel, weil er profitsüchtig gewesen war?
    Es blieb ganz still in mir. Wahrscheinlich waren das alles ganz gute, liebe Leute. Nur das Leben schüttelte die Menschen durcheinander, wie ein Kind die Steinchen schüttelt, die es in ein Säcklein gesammelt hat. Wenn es eine Reibung gibt, was schadet es ? Ein Krümlein alter, weicher Heimaterde bröckelt ab, und der Stein schimmert durch, hart und widerstandslustig. Dem Stein aber kann keine Reibung mehr schaden, kann ihn nur glätten.
    Alte, weiche Heimaterde, wie du mich umsponnen hattest!
    Jedes Käferwürmlein konnte an dir zehren! Ich möchte dich ja halten, denn du bist gut und weich, aber das Leben schüttelt zu hart. Doch ich bin getrost, ein gut Teil Krümlein werden mir bleiben, darauf will ich mich heimlich betten, und die glatte Fläche wird nur nach außen sein . . .
    Als am nächsten Morgen die blonde Hanne in mein Zimmer trat, pochte mein Herz nicht rascher, als käme eine Patientin. Wohl war das Mädchen blasser, als ich es je gesehen.
    »Sie kommen sich verabschieden, Eva?«
    »Ja. In zwei Stunden fährt drüben in Neustadt mein Zug ab.« Wir schwiegen beide. Plötzlich begann Eva laut und heftig zu weinen. Ich hätte hingehen mögen, um über ihre Stirn zu streichen; aber ich tat es nicht.
    »Eva, Sie wissen, daß Stefenson hier ist - daß er die ganze Zeit hier war?«
    Sie nickte.
    »Er hat wohl mit Ihnen gesprochen?«
    Da stand sie auf. Tränenlos, zornig sagte sie:
    »Ja, er hat mit mir gesprochen. Er war so dreist, mich um meine Hand zu bitten. Ein halbes Jahr lang hat er neben mir gewohnt, ohne daß ich ihn kannte, hat mich beobachtet, belauert, geprüft, ob ich wohl - der hohen Ehre würdig sei, seine Gattin zu werden, ob ich nicht am Ende ein kokettes leichtfertiges Weib sei, das heut dem, morgen jenem zulächelt; er hat diese Prüfung angestellt, weil ich beim Theater bin, weil ich keine der unter hermetischem

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