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Ferien vom Ich

Ferien vom Ich

Titel: Ferien vom Ich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Keller
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die Straße herauf. Ich ging hinaus. Das Kind stürzte auf mich zu. »Onkel, lieber Onkel«, rief es selig; »denke dir, Pappa ist wieder da.«
    Stefenson strahlte über das ganze Gesicht. Er flüsterte mir zu: »Es ist nicht so gegangen, wie ich wollte. Ich hatte mir einen genialen Plan zurechtgelegt, dem Kerl das Mädel zu nehmen; da gab er es leider freiwillig her.«
    Das Kind klammerte sich an mich.
    »Onkel, lieber Onkel, laß doch nicht mehr den bösen Mann zu mir kommen. Ich hab’ so schreckliche Angst vor ihm!« Ich sagte ihr nicht, daß der »böse Mann« ihr Vater sei. Es gibt Hunderttausende von Kindern, für die der eigene Vater der »böse Mann« ist. Die männlichen Schweine fressen zuweilen den eigenen Nachwuchs auf; ich schätze menschliche Väter, die ihrer Kinder Jugendglück vergiften, noch um einige Grade niedriger ein als die selbstsüchtigen Borstentiere. Denn im Schweinekoben ist der Schmerz kurz, bei lieblosen Menschenerziehern dehnt er sich Jahr für Jahr. »Kommt der böse Mann wieder?«
    »Nein, Luise, er kommt nicht mehr!«
    »Dann mußt du Magdalena sagen, daß wir nicht mehr in der Genovevenklause Wohnen wollen; wir wollen lieber wieder in den Forellenhof ziehen.«
    »Hast du Magdalena lieb, Luise?«
    »Ja, ich will wieder zu ihr. Wo ist sie?«
    »Sie ist krank; aber vielleicht wird sie wieder gesund.«
    »Sie wird doch nicht sterben?« fragte das Kind weinerlich. »Nein, Herzchen«, sagte ich mit unsicherer Stimme. Langsam gingen Stefenson und ich mit dem Kinde den »Stillen Weg« entlang . . .
    Keinem unter allen Sündern hat Christus so streng die Verdammnis angedroht wie den Unbarmherzigen. Was er für sie hat, ist die »ewige Finsternis, wo Heulen und Zähneknirschen ist«. Diese Höllenstrafe trifft die Unbarmherzigen schon auf dieser Welt. Denn Unbarmherzigkeit ist Finsternis, und Haß heult und knirscht mit den Zähnen und ist verbannt von allem Frieden und allem Glück.
    In diesem Lichte sah ich meinen Bruder. Und als ich wieder einmal bei der röchelnden, fiebernden Frau war, als ich ihre heißen Hände sich die Wand hinaufkrallen sah, ihren qualvollen Husten hörte, schickte ich auf neue Anfrage aus Waltersburg einen Zettel an Joachim:
    »Du bist als Amerikafahrer mit indianischen Gebräuchen vertraut. Freue dich, deine Frau hängt am Marterpfahl!« Daraufhin ließ er sich bei mir melden, aber ich empfing ihn nicht. . .
    In ihren Fieberträumen schrie die Frau immer wieder: »Taufe mich, heiliger Johannes, taufe mich!«
    Und sie jammerte nach dem Kinde.
    Als sie das erstemal bei klarem Bewußtsein war, als sich der Fieberblick in Angst und Todestraurigkeit verlor, wußte sie nichts zu sagen als: »Luise ist fort!«
    Da sah ich sie lächelnd an.
    »Nein, liebe Käthe, Luise ist hier. Du bist nur jetzt noch krank; du bildest dir bloß ein, daß Luise fort ist.«
    »Ich - ich bilde es mir bloß ein?«
    Ein kleines, halb irres Lachen flog um ihren Mund.
    »Ich bilde es mir bloß ein!«
    »Ja, liebe Käthe - du denkst das bloß so . . .«
    »Ich denke es bloß so? Wo ist denn Luise? Warum ist sie denn nicht bei mir?«
    »Sieh nur, Käthe, du bist krank; das Kind lärmt zu sehr. Du weißt es doch, wie es lärmt.«
    »Es ist so schön, wenn es lärmt!«
    Und sie lächelte lieb und seltsam und schlief ein.

    Es ging auf die Krisis zu. Wie das so ist in solchen Fällen: das Befinden schwankte; einmal ging es der Kranken etwas besser, ein anderes Mal wieder war es ganz zum Verzweifeln. Immer der eine Satz: »Wenn das Herz aushält, dann . . .«Ja, wenn!
    Am siebenten Tag ließen wir Luise zu der Kranken. Wir hatten das Kind wohl vorbereitet.
    »Du darfst nicht schreien oder weinen oder lärmen. Du darfst nur ganz leise auf den Zehen ans Bett gehen, der Magdalena die Hand küssen und sagen: »Mamma, ich hab’ dich lieb!«
    So hat es das Mädchen getan. Die Kranke lag mit verklärtem Gesicht, und in ihren Augen war ein Strahlen, als ob ihr der Himmel offen stände. Als das Kind das Zimmer verlassen hatte, ging ein Frösteln über den Körper des Weibes:
    »Es ist alles nicht wahr gewesen - ich hab’ das Furchtbare nur geträumt - Luise ist wirklich da . . .!«
    Am zehnten Tag wußten wir, daß Katharina am Leben bleiben würde. Freilich würde sie nie mehr ganz gesunden. Das Herz war schon vor der Erkrankung nicht in Ordnung gewesen und hatte nun schwer gelitten. Es würde ein sehr stilles Leben sein, was Katharina fortan führen müßte.
    Am hellen Mittag trat mir auf dem »Stillen

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