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Ferien vom Ich

Ferien vom Ich

Titel: Ferien vom Ich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Keller
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Weg« der Bruder entgegen. Er gesellte sich zu mir, ohne daß wir uns die Hände reichten.
    »Lebt sie noch? Ist die Krise vorbei?« fragte er mit offener Furcht in den Augen.
    »Ja, es ist überwunden!«
    Da atmete er auf.
    »Ich habe schwere Tage und Nächte hinter mir«, sagte er etwas stockend; »deine Worte lagen mir immer in den Ohren, und du hast es mir auch durch deine Botschaften nicht leicht gemacht. Aber ich hatte es wohl verdient.«
    Ich antwortete nicht. Er fuhr fort:
    »Ich werde nun abreisen. Ich bitte dich, Käthe zu einer Zeit, wo du es für angemessen halten wirst, einen Brief von mir zu übergeben. Er ist offen; du sollst ihn vorher lesen. Der Brief enthält nichts als einen kurzen Abschied und daß wir jetzt, durch Land und Meer für immer getrennt, ohne Feindschaft aneinander denken wollen.«
    Ich wandte den Kopf zur Seite.
    »Und Luise?«
    »Luise werde ich ihr lassen.«
    Wir gingen schweigend nebeneinander hin. Dann sagte er: »Daß ich von dem Kinde ohne Abschied fortgehen muß, fällt mir sehr schwer. Du wirst es nicht glauben; aber es ist wahr. Das Kind würde sich fürchten, wenn es mich wiedersähe. Ich bitte, daß du dich weiter des Mädchens annimmst. Mit einem Kapital werde ich es ausstatten.
    Willst du die Sache übernehmen?«
    »Ja!«
    »Ich danke dir!«
    Wieder gingen wir ein Stückchen wortlos weiter.
    »Ich könnte nun gehen, Fritz; aber das Schwerste habe ich noch zu sagen.«
    Ich sah ihn fragend an. Da brachte er heraus:
    »Die Mutter will mit mir nach Amerika.«
    Ich blieb stehen.
    »Du mußt nicht glauben, Fritz, daß ich Mutter dazu überredet habe. Sie hat es von selbst gewollt.«
    »Ja, ich kann es mir denken.«
    Etwas unendlich Bitteres quoll mir durch die Seele.
    »Wann wollt ihr denn fort?«
    »Morgen. Die Mutter läßt dich fragen, wann sie sich von dir verabschieden kann. Willst du am Nachmittag zu ihr hinunterkommen?«
    Ich mußte erst ein paarmal Atem holen, dann sagte ich:
    »Ja, ich werde kommen.«
    Joachim blieb stehen.
    »So hab’ ich dir alles gesagt, Fritz. Nun kann ich mich von dir verabschieden. Wenn du zur Mutter kommst, werde ich euch nicht stören, werde ich schon fort sein.«
    Es wurde ihm schwer.
    »Leb wohl, Fritz; hab keinen Groll mehr gegen mich. Ich danke dir für alles Gute - auch, daß du mich fünf Jahre lang gesucht hast - auch, daß du neulich so mit mir gesprochen hast.«
    Die Stimme stockte ihm, und auch ich brachte es kaum heraus, als ich sagte:
    »Behüte dich Gott, Joachim!«
    Als er sich schon abgewandt und die ersten Schritte gemacht hatte, erscholl jenseits eines kleinen Gebüsches das selige Kinderlachen Luises.
    Joachim wandte sich noch einmal um.
    »Ist sie das?«
    Ich nickte mit dem Kopf.
    Da legte er die Hand über die Augen und ging schwer und langsam den Berg hinab.
    Und noch einmal erscholl das Lachen des spielenden Kindes hinter ihm her.

Freund Stefenson

    Nun war es vorbei. Ich stieg von Neustadt aus den Weihnachtsberg hinauf. Der Zug, der meine Mutter in die weite Welt davongeführt hatte, war längst nicht mehr zu sehen. Der Bruder war schon gestern bis zur Provinzhauptstadt vorangereist; ich hatte ihn nicht mehr getroffen.
    Die Bitterkeit war aus meiner Seele gewichen und hatte einer stillen Trauer Platz gemacht. Die letzten Stunden, die ich mit meiner Mutter verlebt hatte, waren voll reinster Liebe gewesen, ohne Eifersucht, ohne Neid, ohne Groll auf den Bruder, um dessentwillen sie mich und die alte Heimat verließ. Joachim sollte nicht wieder einsam und verbittert durch die Welt irren; die Mutter wollte nicht wieder Tag für Tag sehnsüchtig am Fenster stehen und auf das schwermütige Plätschern des Johannesbrunnens lauschen.
    Mich wußte sie in Sicherheit, mit einer großen Aufgabe betraut, die mein Herz ausfüllen würde. So ging sie mit dem anderen, dem Einsamen.
    Es war weiblich, es war mütterlich; es konnte wohl nicht anders sein.
    Aber wie ich auf die andere Seite des Weihnachtsberges kam und mein altes Waltersburg liegen sah, den Marktplatz mit dem Brunnen und mein verlassenes Vaterhaus, da setzte ich mich todmüde an den Wegrand ins welke Gras. Ich barg das Gesicht in den Händen und saß lange so.
    Als ich endlich aufblickte, sah ich mir gegenüber auf dem anderen Wegrande Stefenson sitzen. Ich war unwillig, daß er sich so angeschlichen hatte, aber er kam mir mit teilnehmendem Gesicht, ganz ohne seine sonstige spöttische Art, entgegen, so daß mein Arger verflog.
    Stefenson setzte sich neben mich und legte

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