Ferien vom Ich
schöne Mädchen, das Katharina hieß, damals zwar deine blinde, wahnsinnige Leidenschaft erregt, aber daß sie dich niemals geliebt hat, daß sie so ehrlich war, es dir zu sagen.«
»Hör auf damit!«
»Nein, da liegt die Wurzel zu allem Unheil, das kam. Als du von dem Mädchen abgewiesen warst, tatest du das, was du immer tatest, wenn du einen Wunsch durchaus durchsetzen wolltest, du hingst dich an die Kleiderrockfalten der Mutter.«
Er sprang herunter vom Tisch und trat drohend vor mich. »Benimm dich immerhin auch in dieser Stunde noch mit einigem Anstand, Joachim! Du hast mir soviel von meinem Leben genommen, fünf volle blühende Jahre, daß ich ein Recht habe, dich als meinen Schuldner zu betrachten und endlich mit dir abzurechnen.«
Er wich zurück, lachte verächtlich und trat ans Fenster. »Ich habe dich nicht aufgefordert, mir zu folgen.«
»Nein, aber die Mutter hat es getan, die dich von Kind auf zu einem jämmerlichen Egoisten erzogen hat.«
»Sag noch ein Wort gegen die Mutter, und ich halte mich nicht länger!«
»Du sprichst wie ein Raufbold, Joachim, und ich schäme mich für dich. Wie ich innerlich zur Mutter stehe, geht daraus hervor, daß ich auf ihren stillen Wunsch hin, dich wiederzuhaben, meine Jugend opferte. Aber nicht davon wollte ich sprechen, sondern von deinem Verhältnis zu Katharina. Das Mädchen sagte dir damals, daß seine Liebe einem anderen gehörte, deinem Freunde . . .«
»Hör auf - ich ertrage das nicht!«
»Ich weiß, trotz deiner Brutalität anderen gegenüber bist du, was die eigene werte Person anlangt, sehr feinfühlig; nicht einmal eine wahrheitsgemäße Aussprache erträgst du. Aber ich erspare sie dir nicht. Ich halte dir den Spiegel vor, damit du weißt, wenn du von hier fortziehst, daß es jemand auf der Welt gibt, der keine Spur von Mitleid, ja nicht einmal von Achtung mehr für dich hat, und das ist dein Bruder, der dich unter allen Menschen auf der Welt am besten kennt.«
Er erwiderte nichts mehr; er starrte mich nur an. Ich setzte kaltblütig die Abrechnung fort.
»Du wandtest dich damals an die Mutter, und die Mutter setzte bei den Eltern des Mädchens alle Hebel für dich ein. Die Leute hatten sechs Töchter. Eine von ihnen versorgt zu sehen, war ihr sehnlichster Wunsch. Du warst approbierter Arzt, der andere, dein Freund, ein Vermögens- und aussichtsloser Kandidat. Da wurde dem Mädel Tag und Nacht zugesetzt, bis sie dich nahm. Das war in diesem Falle die Grundlage für die schwere Ja-Frage am Altar nach dem »freien, ungezwungenen, selbst ungenötigten Willen«.«
Joachim war in einen Sofawinkel gesunken. Mir war das Herz so kalt und leicht wie einem Staatsanwalt, der auf »schuldig« plädiert.
»Während du die Flitterwochen hieltest, ging dein Freund beinahe zugrunde. Nach einem Jahre hieß es, er habe sich beruhigt. Er kam zu euch. Die alte Sehnsucht trieb ihn. Und da geschah Katharinas Unglück. Du warst natürlich in deiner Ehre sehr tief verletzt. Ich sah das ein. Erst jetzt begreife ich, daß in jener Ehe deine Gattenehre nicht von Gottes, sondern von Mutters und Geldsacks Gnaden war. Das Weib hat gefehlt, ohne Zweifel. Zweimal.
Nicht nur, als sie dir die Ehe brach, sondern schon, als sie die Ehe mit dir einging. Aber du und die Mutter - und wir alle, die wir schürend oder doch stillschweigend mitgewirkt haben, sind wir Gerechte? Leute, die Steine aufheben dürfen? Oder Pharisäer, die verdienen, die Geißel des Messias ins Gesicht zu bekommen?
Katharina hat ihre Schuld gebüßt. Nicht durch einen rohen Revolverschuß, nicht dadurch, wie sie dich vor Gericht reinwusch, indem sie aussagte, sie habe sich selbst die Wunde zugefügt. Nein, mit abertausend Tränen. Erst jetzt weiß ich, wie ihr Mutterherz gehungert hat, wie sie durch all die Jahre nach dem Kinde gesucht hat. Dieses Weib hat vielleicht an einem Tag und einer Nacht mehr gelitten und heißer zum Himmel gerufen als du in der ganzen Zeit. Jetzt auf einmal erscheinst du wieder in der ganzen Pracht und Herrlichkeit deines gesetzmäßigen Richtertums und beginnst deine Brutalitäten aufs neue. Und deshalb, sage ich, ist deine Frau ein hundertmal anständigerer Mensch, als du bist!«
Er stand auf, zuckte ein wenig mit den Armen durch die Luft, als ob er reden wollte, setzte sich aber wieder. Ich behielt ihn scharf im Blick und fuhr fort:
»Das ist die Abrechnung, die deine Frau betrifft. Da kommst du immer noch gut dabei weg, weil nicht nur dein eigenes, sondern auch das andere
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