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Ferien vom Ich

Ferien vom Ich

Titel: Ferien vom Ich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Keller
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Konto belastet ist. Nun komme ich auf dein Verhältnis zu deinem Kinde zu sprechen. Und da -nichts für ungut, lieber Bruder - hast du dich glattweg benommen wie ein Lump. Das Tier bekümmert sich um sein Junges, trägt ihm die besten Bissen zu, sorgt für seine Sicherheit. Du hast für deine eigene Sicherheit gesorgt, die besten Bissen selbst gegessen, dem Kinde nicht einen Pfennig, nicht ein armseliges Spielzeug, nicht ein Wort oder einen Blick gegönnt. Der verkommenste Proletarier, der von zehn Mark, die er verdient, neun versäuft und eine Mark seiner Familie gibt, ist ein besserer Vater, als du bist, denn du hast auch die zehnte Mark für dich genommen.«
    »Die Mutter . . .«, ächzte Joachim.
    »Ja, die Mutter hat die sogenannten Erziehungsgelder gezahlt. Nebenbei gesagt, nicht nur von deinem, auch von meinem Erbteil. Ich wundere mich, daß ich so etwas sagen kann; aber alle Sentimentalität ist mir wahrscheinlich abhanden gekommen. Wir alle haben gefehlt, auch ich ! Ich hätte dir nicht nachlaufen, ich hätte mich lieber um das Kind kümmern sollen. Aber ich war ein unerfahrener, wehleidiger Geselle. Ich bin erst jetzt, da ich ein großes Werk angefangen habe, dazu gekommen, die Dinge, die um mich her sind, klar und leidenschaftslos zu sehen und zu beurteilen. Wenn ich nun, Joachim, alles zusammenfasse, so bist du weder deiner Frau noch deinem Kinde gegenüber im Recht. Du hast dich bis jetzt unbarmherzig zurückgehalten und bist plötzlich brutal hervorgetreten, als deine neue Liebe scheiterte, als dich das von dir herbeigeführte Band, das Priesterhand schlang, hinderte, nach deinem Wohlgefallen jetzt ein neues zu schlingen. Was dich jetzt leitet, ist nicht Moral, sondern ist Wut, ist enttäuschte Selbstsucht! Du kannst die Lage deines bis heute verleugneten Kindes nicht bessern; denn einen unfähigeren Erzieher, als du bist, kann es nicht geben!«
    Joachim erhob sich.
    »Meinst du, daß ich mir diese Grobheiten gefallen lasse?«
    »Es sind nicht Grobheiten, es sind Wahrheiten, Joachim.«
    »Willst du jetzt dieses Zimmer und dieses Haus verlassen?«
    »Nein, ich werde warten, bis die Mutter kommt.«
    »So werde ich gehen; ich verschmähe es, weiter mit dir zusammen zu sein.«
    »Ganz in meinem Sinne. Ich verbiete dir aber, unser Ferienheim oben noch einmal zu betreten. Außerdem ist es nach deinem brutalen Verhalten selbstverständlich, daß du als Arzt von uns entlassen bist.«
    Er antwortete nicht mehr; er nahm Mantel und Hut und tappte die Treppe hinab. Ich konnte mir zunächst über das, was ich gesprochen hatte, keine klare Rechenschaft geben. Ich hatte nur ein Gefühl der Erleichterung, hatte mir einmal das Herz abräumen gekonnt.
    Jetzt fiel unten die Haustür zu. Ich sah Joachim vom Fenster aus, obwohl eine mondscheinlose Nacht und die Straßenbeleuchtung sehr kümmerlich waren. Joachim ging auf den Johannesbrunnen zu. Mit einem Male löste sich von dort ein Schatten los. Ich erschrak. Katharina ! Sie hielt den Bruder jedenfalls für meine Person. Ich sah, wie die beiden aufeinander zugingen, aufeinander einsprachen, wie das Weib entsetzt die Arme hochhielt, sich dann vor dem Bruder auf die Knie warf, wie er sie emporriß. Sie klammerte sich fest an seinen Arm; er versuchte, sich loszulösen; sie rangen miteinander.
    »Katharina«, rief ich hinunter, »sei vernünftig!«
    Sie hörte nicht, ließ nicht los, schließlich rang sie weiter mit ihm, und ich hörte sie um das Kind bitten. Sie standen dicht am Brunnenrand. Da gab Joachim dem Weibe einen gewaltigen Stoß, sie taumelte zurück und fiel über den niederen Brunnenrand ins Wasser.
    Joachim blieb still stehen, wohl im Schreck, zwei, drei Sekunden lang; dann beugte er sich über das Becken.
    Da sprang das Weib aus dem Wasser heraus und rannte davon. Ich hatte all diesen sich schnell abspielenden Vorgängen sprachlos zugesehen, dann war ich mit einigen Sätzen unten auf dem Markte. Joachim stand noch am alten Fleck.
    »Ah«, lachte er, »du hast zugesehen - da wirst du wohl jetzt behaupten, ich hätte das Weib ertränken wollen.«
    »Das werde ich nicht behaupten. Du hast sie nur zurückgestoßen, und sie ist unglücklich gefallen.«
    »Na also! Ich lasse mich auf der Straße nicht anfallen, verstehst du? Eure Komödien verfangen nicht bei mir!«
    »Joachim, wir müssen ihr nach, wir müssen sie suchen.«
    »Suchen? Ich denke nicht daran. Was geht sie mich an?«
    »Joachim, sie muß völlig durchnäßt sein, es ist eine kalte Nacht; sie ist halb

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