Fern wie Sommerwind
lässt der Schmerz nach. Ich kann es regelrecht fühlen, wie er von Minute zu Minute immer mehr weicht.
Die schöne Begleiterscheinung von Paracetamol ist, dass nicht nur der Kopfschmerz verschwindet, sondern auch alle anderen kleinen Wehwehchen, und dass man nach nur zwei Tabletten beinahe wie auf Sprungfedern durch die Welt hüpft.
Ich habe einmal den Fehler gemacht, meinem Vater davon vorzuschwärmen und der flippte gleich aus. »Bist du jetzt tablettensüchtig oder was? Das wäre ja noch schöner. Mit siebzehn! Finger weg davon, hörst du? Geh joggen oder sonst was … Dieses Yoga-Dings soll doch so gut sein. Wenn du willst, melde ich dich gleich an.« Er griff schon zum Telefonbuch.
»Ich bin nicht tablettensüchtig!«
»Na das rate ich dir aber auch!«
Mein Vater ist toll, meistens, aber manchmal übertreibt er einfach.
Ich breche auf, um die Nachmittagsschicht hinter mich zu bringen. Es fühlt sich wirklich gut an, eigenes Geld zu verdienen, aber manchmal ist es auch anstrengend. Dauernd freundlich zu sein zum Beispiel. Die meisten Kunden sind nett, und die Kinder sind sowieso die Besten, aber ab und zu trifft man auch auf so unfreundliche Menschen, die sich wie Snobs benehmen und die meinen, für ihre fünf Euro müsse man sie hofieren und Small Talk gratis austeilen, der mich wertvolle Verkaufsminuten kostet. »Immerzu lächeln ist das A und O«, predigt Max.
Im Verkauf zu arbeiten wird sicher nichts mit Zukunft für mich, aber hier versuche ich mich zusammenzureißen. Das wollte ich Irmi ja sowieso nachmachen, das mit dem Lächeln, also kann ich gleich damit anfangen. Wenn es zu viel wird, versuche ich meine Laune mit der Vorfreude auf den Feierabend hochzuhalten. Mal sehen, ob Martin heute auch kommt oder ob er vielleicht doch zu den Würstchen übergelaufen ist. Es ist ja auch nicht immer ganz einfach, sich gegen eingeschworene Gruppen zu stellen. Wer weiß, was man sich dann in dem Dorfjugendclub anhören muss.
Na gut, ich weiß eigentlich nichts von Dorfjugendclubs, es sind nur irgendwelche Klischees aus Krimifilmen oder auch Büchern. Der Gruppenzwang und irgendwelche Rangordnungen. Ich selbst habe das noch nicht erlebt. Zu Hause habe ich keine Gruppe. Nur Jana, meine beste Freundin, und ein paar lose Bekannte aus der Schule, mit denen ich manchmal ins Kino gehe. Auch das schiebt meine Mutter natürlich darauf, dass ich ein Einzelkind bin. Das werde ich mir wohl mein Leben lang anhören müssen, ohne überhaupt etwas dafür zu können.
»Papa! Papa! Ich will so einen Drachen!« Die hohe Stimme eines kleinen Jungen holt mich wieder an den Strand zurück.
»Ich will, ich will, ich will! Weißt du, was ich will?« Der Vater erhebt sich mühevoll von seiner Stranddecke.
»Aber du hast es versprochen!«
Ich setze meinen Rucksack mit den Drachen ab und der Junge kommt freudestrahlend zu mir gelaufen. »Ich will den Größten!«, ruft er und zieht seine Arme so weit auseinander, wie es nur geht.
Der Papa mit dem beachtlichen Sonnenbrand stapft angenervt heran, aber er hat den Kampf schon aufgegeben, weil er weiß, dass es anstrengender wird, sich mit dem Kind auseinanderzusetzen, als einfach einen Drachen zu kaufen. Schon zückt er das Portemonnaie.
»Such dir einen aus«, sage ich, und der kleine Junge guckt sich den mit Spiderman drauf aus. Ist natürlich ein wenig teurer, bei den Superhelden zahlt man drauf. Der Vater verdreht die Augen, aber der Sohn rennt schon überglücklich mit der knisternden Tüte davon.
»Schönen Tag noch.« Ich probiere mein bestes Lächeln. Übung macht den Meister.
Er lächelt zurück. »Ja danke. Dir auch.«
Als ich weiterlaufe, versuche ich das Lächeln beizubehalten. Aber es ist anstrengender, als ich dachte. Mein Kiefer verspannt und die Haut über den Lippen fängt schon an, leicht zu zucken. Ich werde mir das vor dem Spiegel mal ansehen müssen und Irmi fragen, wie sie das den ganzen Tag so durchhalten kann.
Plötzlich steht Martin neben mir, über der Schulter seine fast leere Popcorntasche.
»Hey.« Er setzt zu einer Umarmung an.
»Hey.« Ich werde etwas rot.
»Wie lief’s?«, fragt er und fängt an, meine Drachen zu zählen.
»Ganz gut, schätze ich mal.« Ich weiche seinem Blick aus.
»Ist was mit dir?«, fragt Martin besorgt.
»Nein, nein. Was soll denn sein?« Vielleicht sollte ich ihn einfach fragen, was er da mit den Jungs zu besprechen hatte? Aber was geht es mich eigentlich an? Martin ist mir keine Erklärung schuldig. Vielleicht fühlt
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