Fern wie Sommerwind
sie zu beruhigen: Ist doch alles in Ordnung mit mir, es ist bloß ein Abendessen, das ich ausfallen lasse, aber da ist die Stimmung schon so im Eimer, dass wir beide schlecht gelaunt das Zimmer verlassen. Solche Dinge passieren ständig und in letzter Zeit sind wir uns immer öfter aus dem Weg gegangen. Aber jetzt hatte ich plötzlich das Bedürfnis, ihr diesen Brief zu schreiben.
Ich glaube, das kommt, weil ich hier von Irmi immer so liebevoll behandelt werde, mich so wohl damit fühle, dass sich jemand für mich interessiert und nette Dinge zu mir sagt. Und ich denke, vielleicht wäre es für Mama und mich auch einfacher, wenn wir uns so nehmen könnten, wie wir sind, wenn wir öfter etwas Nettes zueinander sagen würden, selbst wenn die andere nicht immer so ist, wie man sich das wünscht. Irmi ist so großzügig im Verteilen von Komplimenten oder netten Gesten, und das scheint sie selbst glücklich zu machen, als würde es abfärben. Sie ist ständig am Lächeln. Vielleicht kann ich mir von ihr etwas abgucken.
Auf dem Weg zum Briefkasten sehe ich in einer Gasse vor einem Haus drei von den Bockwurstjungs stehen und bei ihnen ist Martin. Ich überlege, schnell weiterzulaufen, aber dann drücke ich mich doch an die Hauswand und schiele hinüber, was die da so treiben. Sie reden. Ein wenig aufgeregt möglicherweise, nur kann ich nicht hören, was sie sagen. Martin wirkt wie ein Fremdkörper zwischen ihnen. Trotzdem klopft ihm einer der Jungs auf die Schulter und lacht. Martin lacht auch. Komisch, diese Vertrautheit gab es nicht, als alle bei Dario saßen. Ich weiß nicht warum, aber Martin mit den Jungs zu sehen, versetzt mir eine kleinen Stich. War das alles nur gespielt? Quatsch. Die Fantasie geht mit mir durch.
Trotzdem. Das schlechte Gefühl will nicht weggehen.
Zumal auch der Typ dabei ist, den ich neulich als Idioten beschimpft habe. Vielleicht hat sich der Typ bei Martin über mich beschwert.
Ob die Jungs da wohl wissen, dass Martin behinderte Kinder zeichnet?
Einer von ihnen löst sich aus der Gruppe und läuft los, genau in meine Richtung. Schnell mache ich kehrt und verschwinde in die nächste Seitenstraße. Wird eben ein Umweg zum Briefkasten.
Danach hole ich eilig bei Max meine Drachen ab. Eigentlich hatte ich mit Martin ausgemacht zu tauschen, aber jetzt ist es mir schon peinlich, dass ich ihm vorhin hinterherspioniert habe. Ich werde lieber einen weiteren Tag damit zubringen, mit meinen Drachen über den warmen Strandsand zu laufen, immer geradeaus und wieder zurück. Vorbei an den Bademeistern, den sonnengebräunten, die heldenhaft auf ihren Türmchen sitzen und Ausschau halten nach möglichen Gefahren. Manchmal würde ich gerne mit ihnen tauschen, meist gegen Schichtende, wenn meine Füße anfangen zu schmerzen und meine Stimme langsam ganz heiser wird, weil ich den ganzen Tag rufen musste: »Drachen! Kleine Drachen! Große Drachen! Drachen für groß und klein!« Der Spruch ist bescheuert, aber Max hat mir den so aufgetragen und gesagt, das wäre schon seit zehn Jahren der Verkaufsslogan und man läge hier großen Wert auf Traditionen. So ganz kann ich das nicht glauben. Nur werde ich von Max bezahlt, und wer weiß, wer hier am Strand einen Blick darauf hat, dass alles so läuft wie geplant.
Meine Pause verbringe ich heute in einer kleinen Strandbar mit Palmen auf der Veranda. Als wäre man nicht an der Ostsee, sondern auf Hawaii. Ich nippe an meiner kühlen Cola mit viel Eis, esse Pommes rot-weiß, ein Kontrast zu Irmis gesunder Küche, und reibe mir bei der Gelegenheit mit Martins Wunderöl meine Schultern ein. Eigentlich bin ich für diesen Job gar nicht gemacht. Viel zu helle Haut, anfällig für jeden Sonnenbrand. Kreislaufaussetzer von der heißen Luft, und meine Kondition ist sowieso das Letzte. Daran hatte ich nicht gedacht, als ich mich für den Job beworben habe. Und das Wetter verspricht die nächsten Wochen so zu bleiben, behauptet Irmi, die vier Mal täglich den Wetterbericht schaut, auf zwei verschiedenen Kanälen.
Jetzt, wo ich hier so ruhig sitze und kurz entspanne, bemerke ich erst die leichten Kopfschmerzen, die ich wahrscheinlich schon länger habe. Ich habe das mit der Migräne schon mal gegoogelt. Frauenleiden. Na klar. Familiäre Vorbelastung. Verspannungen. Stress. Wetter. Schlechte Lichtverhältnisse am Arbeitsplatz.
Zumindest von Letzterem kann nicht die Rede sein. Ich schlucke zwei Paracetamol und spüle sie mit Cola runter. Es dauert nur eine Viertelstunde, dann
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