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Fern wie Sommerwind

Fern wie Sommerwind

Titel: Fern wie Sommerwind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrycja Spychalski
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vielleicht ein paar Zähne verloren hat.«
    In meinem Kopf dreht sich alles. Ich weiß nicht, was ich tun soll. Ich gehe in die Knie und suche den Waldboden ab. Hektisch schiebe ich Blätter zur Seite und sehe unter größeren Ästen nach. Aber ich kann keine Zähne finden. Hoffentlich sind sie alle in seinem Mund. Fest an dem Platz, wo sie hingehören. Verdammt noch mal! Wie konnte so etwas passieren?
    Hinter uns knackt es plötzlich und wir hören Stimmen. Erschrocken fahren wir zusammen und drehen uns um, aber es sind glücklicherweise die Sanitäter. Sie kommen angerannt. »Aus dem Weg!«
    Wir treten zur Seite. Ruth presst sich an mich, ohne den Blick von Rocco zu lassen. Die Sanitäter beugen sich über ihn und leuchten mit einem kleinen Lämpchen in seine Augen. Sie prüfen den Puls und schieben vorsichtig seinen Mund auseinander. Sie haben eine Bahre mitgebracht, auf die sie Rocco geübt drauflegen.
    »Einer von uns sollte mitgehen«, sagt Martin.
    »Ruth geht mit!«, antworte ich mit fester Stimme. Ruth nickt und sieht mich dankbar an.
    Dann gehen sie davon, die zwei Sanitäter mit Rocco auf der Liege. Ruth stolpert hinterher und wischt sich die Tränen aus dem Gesicht.
    Martin, James und ich sehen ihnen nach, bis sie hinter den Bäumen verschwunden sind und man nur noch von Weitem die Äste knacken hört.
    Wir setzen uns auf den Boden. Erschöpft, erleichtert und trotzdem besorgt. Eine ganze Weile sagt niemand ein Wort. Aber dann platzt Martin schließlich der Kragen. »Verdammte Arschlöcher!«
    Er steht auf und sucht sich einen Baum, um dagegenzutreten. Immer und immer wieder, sodass sich Rinde vom Stamm löst.
    »Hey! Was soll das jetzt werden? Meinst du damit ist jemanden geholfen?«, schaltet sich James ein. Man muss zugeben, James sagt nicht viel, aber wenn, dann trifft es immer den Punkt.
    Martin hält inne, atmet schwer aus und setzt sich wieder.
    Mir ist zum Heulen zu Mute. Ich hatte mich die ganze Zeit zusammengerissen, wollte die Fassung bewahren, aber jetzt weicht das Adrenalin aus meinem Körper, meine Muskeln entspannen sich und stattdessen wird mir übel. Ich versuche, dieses Gefühl wegzuatmen.
    »Ich glaube, ich bin ein bisschen schuld daran«, stoße ich hervor.
    Ich spüre ihre fragenden Blicke auf mir. In meinem Kopf rauscht es. »Ich habe einen von denen beleidigt. So ein großer Hässlicher mit rotem Gesicht. Ich habe ihm zu verstehen gegeben, dass ich ihn für einen Idioten halte. Der sagte schon so was, dass ich es bereuen würde. Aber ich konnte doch nicht ahnen, dass Rocco dafür herhalten muss!«
    Die Tränen quellen jetzt einfach aus meinen Augen. Ich kann nichts dagegen tun.
    Martin hockt sich neben mich und streicht mir über die Schulter. »Mach dir keinen Kopf. Du kannst nichts dafür. Die hatten Rocco sowieso auf dem Kieker. Die ganze Zeit schon. Der hat sich ein paar Mal mit denen angelegt. Ist am Strand neben ihnen hergelaufen und hat ganz laut gefragt, ob ihre Würste vielleicht schon abgelaufen wären, weil sie so vergammelt schmecken würden. Ich schätze, er hat denen den Umsatz versaut. Er hat sich über sie lustig gemacht. Das war jetzt die Quittung.«
    »Aber gleich so was!« Meine Fassungslosigkeit schlägt um in Wut. Bei der Vorstellung, wie die Jungs sich auf Rocco gestürzt haben, schlägt mein Herz wild gegen meine Brust. Wahrscheinlich vier auf einen. »Diese Feiglinge! Das wird denen noch leid tun!«
    »Was willst du denn machen? Denen auflauern? Heimlich, im Dunkeln? Jetzt mal im Ernst, meinst du wir haben eine Chance gegen die?« Martin schüttelt den Kopf.
    »Ich will mich ja nicht prügeln! Aber irgendwas müssen wir tun!« Ich kann nicht begreifen, dass die Jungs so gelassen bleiben.
    Und dann schießt ein Gedanke durch meinen Kopf. »Ich habe dich gestern mit denen gesehen.« Ich versuche, das so beiläufig wie möglich zu sagen, aber es klingt dann doch wie ein Vorwurf.
    Martin sieht mich ratlos an.
    »Sah aus, als hättet ihr etwas zu bereden gehabt.« Jetzt kommen die Worte einfach so unkontrolliert aus mir raus.
    »Was willst du damit sagen?« Martins Blick wird ernst und hart.
    »Ich sage nur, was ich gesehen hab.« Ich will seinem Blick standhalten, für einen Rückzieher ist es ohnehin zu spät.
    »Rück raus mit der Sprache!« Seine Lippen fangen an zu zittern.
    »Sind das nun deine Freunde oder nicht? Erst sagst du, dass wir die ignorieren sollen, und heimlich hältst du mit denen irgendwelche Besprechungen ab.« Meine Stimme wird ganz schrill,

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