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Fern wie Sommerwind

Fern wie Sommerwind

Titel: Fern wie Sommerwind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrycja Spychalski
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Wieder nichts. Kein Pochen, nicht mal ein bisschen. Ich lege meine Hand auf Irmis Brust, um zu spüren ob sie sich hebt oder senkt, aber da ist keine Bewegung.
    Und da begreife ich, was ich schon geahnt habe.
    Irmi ist tot.
    Heute früh saß ich noch mit ihr am Frühstückstisch und jetzt ist sie tot. Wie konnte das passieren? Meine Knie werden weich, mein Körper gibt nach und ich falle in mir zusammen. Lande auf den Holzdielen zu Irmis Füßen und fange hemmungslos an zu weinen. Schluchze, der Rotz läuft mir aus der Nase und die Tränen nehmen mir die Sicht. Ich wische mit dem Ärmel über meine Augen. Ich habe riesige Angst.
    Vielleicht ist das ein böser Traum.
    Vielleicht ist das ein großer Irrtum.
    Ich rappel mich wieder auf, hole aus dem Haus die Decke vom Sofa und ein paar Kissen und wickele Irmi wieder ein. Von Kopf bis Fuß. Stopfe die Kissen in die Seiten, damit sie nicht aus dem Stuhl kippt.
    Ich selbst lege meinen Kopf auf Irmis Knien ab und schließe die Augen. Die Tränen sind versiegt, ich spüre sie noch als trockene Schlieren auf meiner Haut. Gleich werde ich etwas unternehmen müssen. Gleich. Ich zittere. Ein Schauder durchläuft meinen Körper. Immer wieder zucke ich zusammen. Mein Atem wird langsamer. Wenn ich mich anstrenge, kann ich in der Ferne das Meer rauschen hören, leise und friedlich.
    »Nora.« Martin streicht mir über die Haare. Ich schlage die Augen auf, drehe den Kopf und sehe in Martins Gesicht, das erschrocken auf mich runterschaut. Sofort schließe ich die Augen wieder.
    »Nein«, presse ich mit heiserer Stimme hervor.
    »Nora.« Martin beugt sich zu mir runter. »Was ist hier los?«
    Ich greife nach seiner Hand und umklammere sie fest.
    »Steh auf«, fordert er mich auf.
    »Ich kann nicht.«
    »Du kannst.« Er zieht mich hoch. Widerwillig komme ich auf die Füße. Mein Nacken tut weh und auch mein Bein, auf dem ich eine Ewigkeit gesessen habe. Martin führt mich zum anderen Stuhl und drückt mich hinein. Er holt einen Hocker und setzt sich mir gegenüber.
    »Rede mit mir.« Er nimmt meine Hand.
    Ich schüttele den Kopf. Meine Augen sind schrecklich geschwollen und der Hals tut mir beim Schlucken weh.
    »Ist sie tot?«, fragt Martin.
    Seine samtene Stimme zu hören, tut mir gut. Ich nicke vorsichtig und fange an, mit meinem Oberkörper vor und zurück zu wippen.
    Martin steht auf und tritt zu Irmi, fühlt ihren Puls. Er wirkt ganz ruhig. Erst am Arm, dann am Hals.
    »Wir können sie hier nicht sitzen lassen. Sie ist ganz kalt«, stellt er fest.
    »So ist das bei Leuten, die tot sind!« Mein Mund bebt. »Wo soll sie denn hin?«
    Er greift unter Irmis Arme. »Hilf mir.«
    »Nein.«
    »Hilf mir!« Sein Ton ist so bestimmt, dass ich keine Kraft habe zu widersprechen. Ich raffe mich aus dem Stuhl auf und stelle mich vor Irmi, sehe aber an ihr vorbei.
    »Leg ihren Arm um deine Schulter.«
    Ich sehe Martin fassungslos an.
    »Mach einfach! Dann ist es gleich vorbei.«
    Ich folge widerwillig seinen Anweisungen, aber es klappt nicht. Irmis Arm rutscht mir von der Schulter. Ich beiße mir krampfhaft auf die Lippen und schmecke Blut. Dann versuche ich es noch einmal und halte Irmis Hand diesmal fest. Diese kalte Hand, die ihre Kälte gleich an meinen Körper weitergibt. Wieder fange ich an zu zittern. Martin stößt die Haustür mit dem Fuß auf und geht voran, mit Irmi in seinem Arm, und ich folge, weil mir nichts anderes übrig bleibt. Wir schleppen Irmi bis zum Sofa und Martin legt den leblosen, unglaublich schweren Körper auf die weichen geblümten Polster. Ich nehme Irmis Beine und lege sie behutsam nebeneinander, ziehe die Hausschuhe von den Füßen und lege ein Kissen darunter.
    »Sie soll es wenigstens gemütlich haben.« Und dann plötzlich breche ich in Lachen aus. Ein verzweifeltes, hysterisches Lachen. Ich lasse mich auf den Boden fallen und Martin setzt sich zu mir und nimmt mich in den Arm. Ich vergrabe mein Gesicht in seinem Haar und sauge den Shampooduft ein. Mit meinem Gesicht in seinen Haaren kann ich mir vorstellen, dass nichts passiert ist, dass wir noch am Strand liegen, dass ich nur träume und jetzt gleich neben Martin aufwache. Aber das laute Ticken der schweren Uhr, die im Wohnzimmer steht, erinnert mich daran, wo ich bin. In Irmis Haus, neben ihrem leblosen Körper.
    »Und was machen wir jetzt?«, flüstere ich.
    »Wir warten. So lange, bis wir wissen, was wir machen.« Martin drückt mich noch fester an sich.
    Das ist okay. Das ist ein guter Plan, und vor lauter

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