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Fern wie Sommerwind

Fern wie Sommerwind

Titel: Fern wie Sommerwind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrycja Spychalski
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Waldboden, die Äste im Rücken, aber die sind uns völlig egal, solange man nur küssen kann.
    »Los ihr zwei! Kommt raus! Das Spiel ist vorbei!« Die Stimmen, die nach uns rufen, hören sich so weit entfernt an.
    Ein letzter Kuss, ein letzter Blick und dann kriechen wir aus dem Versteck. Die anderen sehen uns an, als wüssten sie genau, was da gerade gelaufen ist.
    Auf dem Rückweg schlendern alle etwas lustlos über den abgekühlten Sandstrand. Die Mücken schwirren uns angriffslustig um die Ohren, es ist stockfinster geworden. Das Meer ist aufgewühlt, die Möwen sind schlafen gegangen. In der Ferne blitzt der Leuchtturm in regelmäßigen Abständen auf.
    Dario hat einem Bikinimädchen sein Shirt geliehen und hält ihre Hand. Erfolgreich ausgeführter Plan. James geht leer aus. Vielleicht nächstes Mal.
    Der Abschied am Strandaufgang zieht sich in die Länge. Die Mädchen sind unschlüssig, ob sie ihre Nummern rausrücken wollen, diskutieren eine Weile und einigen sich dann auf einen Besuch in Darios Lokal.
    »Soll ich dich nach Hause bringen?«, fragt Martin, aber ich schüttele den Kopf, sonst komme ich mir langsam komisch vor.
    »Gute Nacht.«
    »Schlaft schön alle zusammen! Äh … also nicht zusammen, aber jeder für sich.« Das kommt davon, wenn man an nichts anderes mehr denken kann.
    Ich renne. Renne den Waldweg entlang, von Liebe beflügelt, auf Flügeln getragen. Renne über den menschenleeren Marktplatz, die Hauptstraße runter, über den unebenen Bordstein bis zu Irmis Haus. Ich bleibe einen Moment am Gartentor stehen und verschnaufe. Das Blut pulsiert durch meine Adern. Das Herz pumpt die Glückshormone durch den ganzen Körper. Das Lächeln mag nicht mehr aus meinem Gesicht weichen. Ich atme noch kurz durch und stoße vorsichtig das Tor auf, laufe durch den Garten und die Treppe zur Veranda hinauf.

AUF DEM KLEINEN Tisch brennt eine Kerze und wirft ihr schwaches Licht auf Irmis schlafendes Gesicht. Die Decke ist ihr von den Knien gerutscht. Ich hebe sie auf und lege sie Irmi über die Beine. Einen Moment lasse ich sie noch schlafen. Ich setze mich auf die oberste Treppenstufe und kann das alles immer noch nicht fassen.
    Martin und ich. LOVE ! FOREVER !
    Ich spüre noch genau seine Hände in meinem Nacken. Er hat sofort begriffen, wie sehr ich es mag, im Nacken gestreichelt zu werden. Sein Geruch hängt in meinen Haaren, es ist, als würde er neben mir sitzen. Ich schließe die Augen und sehe sein Gesicht vor mir, umrahmt von seinem sonnengelben Haar, mit den Grübchen, die es schon allein wert wären, mit Liebe überhäuft zu werden.
    Wie verrückt das alles ist und wie unverhofft.
    Die Minuten ohne Martin ziehen sich in die Länge, wollen einfach nicht verstreichen, dabei haben wir uns gerade erst voneinander verabschiedet.
    Ich sollte schlafen gehen, damit die Zeit schneller verfliegt, in Träume verfallen. Von Küssen und streichelnden Händen.
    »Irmi«, flüstere ich und fasse sie vorsichtig am Arm. »Irmi, es wird Zeit, ins Haus zu gehen.«
    Irmi macht keine Anstalten aufzuwachen. Es gibt Leute, die sind echt schwer wieder wach zu kriegen, wenn sie mal schlafen. Ich nehme die Decke von ihren Knien und falte sie zusammen, ich puste die Kerze aus. Dann trage ich Tasse und Teekanne ins Haus, stelle sie in die Spüle. Auf dem Tisch steht ein mit Frischhaltefolie abgedeckter Teller mit Essen. Ich bin gerührt. Immer wieder bin ich von Irmi gerührt, die sich um mich kümmert und sorgt, als wäre ich ihre Enkelin. Ich sollte im Winter wieder hierherkommen und Irmi für ein paar Tage besuchen, ihr Haus in Ordnung bringen und vielleicht einen Kuchen für sie backen. Bis dahin werde ich Rezepte ausprobieren müssen, um Irmi den Kuchen zu zaubern, den sie verdient.
    Als ich wieder auf die Veranda trete, sitzt Irmi unverändert in ihrem Korbstuhl. Ich greife nach ihrem Arm und will sie aus dem Stuhl hochziehen. »Irmi«, sage ich schon etwas lauter. Ihr Arm ist ganz schwer, rutscht mir aus der Hand und fällt schlaff in den Schoss. »Irmi!« Ich werde panisch. Ganz instinktiv.
    Ich schüttele an ihren Schultern. »Wach auf! Es ist schon spät!« Meine Stimme überschlägt sich. Ich halte inne. Starre auf Irmis Gesicht. »Verdammt!« Tränen schießen in meine Augen. »Reiß dich zusammen! Reiß dich zusammen!«, versuche ich mich zu beruhigen. Ich atme kurz durch.
    Schließlich strecke ich meine Hand nach Irmis Hals aus und versuche, den Puls zu ertasten. Nichts. Das Gleiche versuche ich mit dem Arm.

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