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Ferne Tochter

Ferne Tochter

Titel: Ferne Tochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Renate Ahrens
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Rede.
    Ich höre den Notarztwagen, fahre rechts heran, habe einen Moment lang die Phantasie, Tessa könnte hier verunglückt sein.
    Plötzlich denke ich an diesen kalten Tag im Oktober. Mittags hatte ich mir in einer Apotheke einen Schwangerschaftstest besorgt.
     
    Was?
Johannes starrt mich an. Das kann nicht sein! Glaubst du, ich denke mir so was aus?, schreie ich. Ich warte seit zwei Wochen auf meine Regel, der Test war eindeutig positiv. Dann ist das Gummi gerissen, murmelt er. Aber wie kann das passieren? Keine Ahnung. Und was machen wir jetzt? Er sieht weg, nimmt nicht meine Hand. Wenn meine Eltern … das erfahren … schmeißen sie mich raus, stammele ich und fange an zu weinen. Meinst du, meine Eltern werden begeistert sein?, schreit er. Die sind nicht so streng wie meine, sage ich. Das spielt im Augenblick überhaupt keine Rolle. Doch, sage ich. Deine Eltern haben bestimmt nichts gegen eine Abtreibung, meine dagegen schon. Johannes schweigt. Warum sagst du nichts? Er presst die Lippen zusammen. Nun sag endlich was! Oder ist es aus zwischen uns? Muss ich alles allein entscheiden? Ich will nicht mit siebzehn Vater werden, sagt Johannes. Und meine Eltern wollen das auch nicht.
     
    Nach zehn Minuten wird der Verkehr an der Unfallstelle vorbeigeleitet. Auf dem Grünstreifen liegt ein zerbeultes Fahrrad. Ich schaue weg.
    Es ist nicht mehr weit. Ich lege mir Sätze für Tessa und für ihre Eltern zurecht.
    Mein Name ist Judith Velotti. Ich bin … deine leibliche Mutter. Bitte entschuldige, dass ich erst jetzt komme. Ich darf doch du zu dir sagen, oder?
    Entschuldigen Sie die Störung. Ich heiße Judith Velotti. Ihre Tochter Tessa hat mir vor mehr als zwei Jahren einen Brief geschrieben, den ich leider erst jetzt erhalten habe. Ich bin … Tessas leibliche Mutter. Wäre es möglich, sie zu sehen?
    Ich biege in die Rombergstraße ein. Mein Puls schlägt schneller. Hat sie hier gespielt? Eine schmale Straße, meist alte Häuser, ein paar kleine Bäume. Es gibt keinen Parkplatz, ich fahre mehrmals um den Block. In einer Parallelstraße finde ich eine Lücke.
    Ich blicke in den Rückspiegel. Ein blasses Gesicht mit unruhigen Augen. Wie oft habe ich überlegt, ob sie mir ähnlich sieht.
    Ich setze meine Sonnenbrille auf, trotz des Regens. Sie soll mich nicht zufällig auf der Straße erkennen.
    Die Nummer zehn ist ein hässlicher Bau aus der Nachkriegszeit. Mein Herz sinkt. Ich lese die Namen auf den Klingelschildern.
Jansen
entdecke ich erst beim zweiten Durchgang.
    Ich lege meinen Daumen auf den Knopf und hole tief Luft. Ihre Eltern werden mir nicht die Tür vor der Nase zuschlagen. Tessa vielleicht. Dann werde ich ihr schreiben.
    Ich muss klingeln.
    Ich schaffe es nicht.

[home]
    12.
    I m Hotel lege ich mein Bein hoch und bestelle mir ein Käse-Sandwich aufs Zimmer.
    Ich bin feige. Dabei habe ich nichts zu verlieren. Oder doch?
    Seit ihrer Geburt habe ich ein schlechtes Gewissen. Zwanzig Jahre lang habe ich mir ausgemalt, wie glücklich sie in ihrer Adoptivfamilie ist. Ihre Begabungen werden gefördert, sie ist beliebt, sie lernt, eigene Wege zu gehen. Die Vorstellung, es könnte ihr nicht gutgehen, hätte ich nicht ertragen.
    Ich habe Angst.
     
    Im Internet finde ich die Festnetznummer von Harald Jansen, Rombergstraße 10 . Bei dem Namen Harald denke ich an jemanden, der Mitte fünfzig oder älter ist. Das heißt, er war fünfunddreißig oder vierzig, als er meine Tochter adoptierte.
    Ist es besser anzurufen, statt an der Tür zu klingeln? Ich weiß es nicht.
    Einen Anruf kann man schnell beenden. Kein Interesse. Lassen Sie uns in Ruhe. Wir wünschen keine weiteren Belästigungen. Wenn ich vor ihnen stehe, erkennen sie vielleicht eine Ähnlichkeit zwischen Tessa und mir und lassen sich auf ein Gespräch ein.
    Und was ist, wenn sie von Tessas Suche nach mir nichts wissen?
    Ich tippe die Nummer ein. Warte ein paar Sekunden. Breche den Anruf ab.
    Ich brauche mehr Zeit. Soll ich meinen Rückflug um zwei oder drei Tage verschieben? Francesco würde es verstehen, wenn ich ihm sage, dass ich mich um die Angelegenheiten meiner Mutter kümmern müsse. Aber zwei oder drei Tage würden mir auch nicht genügen, um mit Tessa Kontakt aufzunehmen.
     
    Ich sitze im Café Borchers. Es ist zehn vor vier. Antonia Bremer kommt vermutlich nicht mehr.
    Seltsam, dass sie diesen Ort vorgeschlagen hat. Mit der dämmerigen Beleuchtung, dem Tresen, dem Bierausschank ist es eher eine Kneipe als ein Café. Johannes und ich waren ein

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