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Ferne Tochter

Ferne Tochter

Titel: Ferne Tochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Renate Ahrens
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sie besucht haben.«

[home]
    14.
    E s ist erst zehn vor zwölf. Hätte ich länger bei ihr bleiben oder für den späten Nachmittag einen weiteren Besuch ankündigen sollen? Nein, ich brauche die Zeit für mich.
    Ich fahre zur Rombergstraße, laufe durch die Nachbarstraßen, die Haupteinkaufsstraße, den kleinen Park. Kehre zur Rombergstraße zurück, stehe vor der Klingel und gehe weiter. Ich kaufe mir eine Zeitung, entdecke ein griechisches Lokal, bestelle mir einen Salat und ein Mineralwasser, tippe die Nummer von Harald Jansen in mein telefonino und breche den Anruf ab.
    Um mich herum sitzen Familien mit kleinen Kindern, Paare, Freundinnen, ein alter Mann mit seinem Sohn. Außer mir isst niemand allein.
    Merkwürdig, dass ich Mutter nichts von meinem Beruf erzählt habe. Ich habe so viel anderes preisgegeben. Warum? Weil ich es loswerden musste und sie mit niemandem darüber sprechen kann?
    Plötzlich bricht mir der Schweiß aus. Sie kann schreiben, könnte Francesco einen Brief schreiben. Vier Wörter genügen, um meine Welt zum Einstürzen zu bringen.
Judith hat eine Tochter.
Die Adresse und den Absender würde sie Tanja Schmidt schreiben lassen.
    Brächte Mutter es fertig, mich zu verraten? So wie sie mich verraten hat, als ich mit dreizehn in Patrick verliebt war?
     
    Warum ziehst du so ein Gesicht?, fragt Mutter, als ich nach dem Schwimmen nach Hause komme. Ich antworte ihr nicht. Sie hat keine Ahnung von meinem Leben. Patrick will seit drei Tagen nichts mehr von mir wissen. Ich verstehe das nicht. Heute ist er an mir vorbeigeradelt und hat nicht mal ›hallo‹ gesagt. Wenn ich ihn mit seinen Freunden sehe, grinsen sie sich an und flüstern sich irgendwas zu. Hast du deine Hausaufgaben fertig?, fragt Mutter. Ich schüttele den Kopf. Dann wird’s aber Zeit. Von jetzt an guckst du nicht mehr den Jungs hinterher. Was willst du damit sagen?, frage ich. Fang nicht auch noch an zu lügen. Du hast doch alles aufgeschrieben. Hast du etwa in meinem Tagebuch gelesen?, schreie ich. Tagebuch, Tagebuch! Mutter schnalzt mit der Zunge. Große Autoren schreiben Tagebücher. Was du da von dir gibst, ist nichts als sentimentales Gekritzel. Tränen schießen mir in die Augen. Warum ist sie so gemein? Ich kenne übrigens den Vater von diesem Patrick, sagt Mutter. Mir bleibt die Luft weg. Hat sie ihm etwa erzählt, dass ich … Nein, das kann nicht sein. Wenn sie das getan hat! Er veranstaltet interessante Seminare am Institut für Lehrerfortbildung, fährt Mutter fort. Neulich haben wir uns in der Pause über unsere Kinder unterhalten. Hör auf!, schreie ich, das verzeihe ich dir nie! Na, nun blas dich mal nicht so auf, sagt Mutter. Patricks Vater hält auch nichts davon, dass Dreizehnjährige knutschend in irgendwelchen Fußgängerzonen stehen. Patrick und ich haben nicht geknutscht!, schreie ich und stürze in mein Zimmer.
     
    Francesco ruft mich an. Er wird mich morgen am Flughafen abholen. Ich kündige an, dass ich bald wieder nach Hamburg reisen muss.
    »Das habe ich mir schon gedacht.«
    »Die Pflegerin meint, dass es meiner Mutter wesentlich bessergeht, seitdem ich sie besuche.«
    »Ja, natürlich. Vielleicht sollten wir sie hier in Rom in einem Pflegeheim unterbringen.«
    »Was?«
    »Dann wäre sie in unserer Nähe. Wer weiß, wie lange sie noch lebt.«
    »Aber sie kann kein Italienisch.«
    »Wir würden sicher irgendwo eine Pflegerin finden, die Deutsch spricht. Zur Not engagieren wir jemanden aus Deutschland.«
    »Ich glaube nicht, dass meine Mutter zu so einem Umzug bereit wäre.«
    »Vielleicht doch. Wenn das ihre einzige Chance ist, die wiedergefundene Tochter öfter zu sehen …«
    Ich zucke zusammen, lasse beinahe das telefonino fallen.
    »Hallo?«
    »… Ja?«
    »Es kam mir so vor, als ob die Verbindung unterbrochen wäre.«
    »Nein, ich …«
    »Du musst ihr das ja nicht heute vorschlagen. Denk darüber nach.«
     
    Kurz darauf meldet sich Selina.
    »Ich habe von Francesco erfahren, dass du nach Hamburg geflogen bist.«
    »Ja … ich bin nachts aufgewacht und wusste plötzlich, dass ich fahren würde.«
    »Warum hast du nachmittags nichts von dem Anruf dieser früheren Freundin gesagt?«
    »Ich wollte mit dem Ganzen nichts zu tun haben … es einfach vergessen …«
    »Francesco macht sich Sorgen um dich, und ich auch.«
    »Ich weiß.«
    »Die Begegnung mit deiner Mutter hat dich sicher sehr mitgenommen.«
    »Ja …«
    »Francesco hat mir erzählt, dass du gestürzt bist … das ist doch kein

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