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Ferne Tochter

Ferne Tochter

Titel: Ferne Tochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Renate Ahrens
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Zufall.«
    »Es geht schon etwas besser.«
    »Wann kommst du zurück?«
    »Morgen Mittag.«
    »Lass uns Anfang der Woche ein Treffen verabreden. Dann kannst du mir alles genau berichten.«
    Auch Selina muss ich belügen. Auch sie wird es mir nicht verzeihen.
    »Pass auf dich auf.«
     
    Wieder stehe ich vor der Rombergstraße 10 . Soll ich bei einem der Nachbarn klingeln und fragen, ob die Tochter der Jansens noch bei ihren Eltern wohnt? Oder erweckt das nur Misstrauen?
    Die Haustür wird geöffnet, und eine alte Frau kommt heraus. Sie zieht einen Einkaufstrolley hinter sich her, in dem ein kleiner Terrier sitzt.
    »Waren Sie nicht gestern schon mal hier?«
    »Ja …«
    »Beobachten Sie jemanden?«
    »… Nein.«
    »Wir haben es nicht gern, wenn Leute vor dem Haus herumlungern.«
    »Entschuldigen Sie, ich … ich suche Tessa Jansen.«
    »Was wollen Sie denn von der?«
    »Ich … hätte sie gern mal gesprochen.«
    »Die wohnt schon lange nicht mehr hier.«
    Ich zeige auf das Klingelschild. »Und wie ist es mit Herrn Jansen und seiner Frau?«
    »Die Frau ist doch seit zehn Jahren tot!«
    Mir stockt der Atem.
    »Er wohnt noch in der Wohnung. Hat ja die Zwillinge zu versorgen. Wenn Sie mich fragen, ist der Mann damit völlig überfordert.«
    Der Terrier fängt an zu bellen.
    »Er kann die beiden Rabauken auch nicht leiden. Neulich haben sie ihm eine leere Thunfischdose an den Schwanz gebunden.«
    »Wie alt sind die Zwillinge?«
    »Zehn.« Sie streichelt ihren Hund. »So, jetzt müssen wir weiter.«
    Ich sehe ihr nach, wie sie langsam die Straße überquert.
    Ich ahne etwas von der Welt meiner Tochter.

[home]
    15.
    I m Hinterhof ist es düster, es stinkt nach Müll, mir läuft eine Ratte über den Weg. Ich höre einen Schlag. Haut auf Haut. Ein Kind schreit. Noch ein Schlag und noch ein Schrei. Ich biege um die Ecke. Eine junge Frau mit blonden Locken ohrfeigt zwei kleine Jungen, sie gleichen einander, sind höchstens fünf. Blindwütig schlägt die Frau immer wieder zu. Ich will dazwischentreten, will ihr sagen, sie solle die Kinder in Ruhe lassen. Aber ich kann mich nicht rühren, bekomme kein Wort heraus.
    Es klingelt. Wo bin ich? Meine Hand greift nach dem Wecker. Viertel vor sieben.
    Ich richte mich auf, sehe das Laminat, die bunten Gardinen und erinnere mich. Heute fliege ich nach Rom zurück. Oder bleibe ich?
    In meinem Kopf breitet sich ein dumpfer Schmerz aus, ich lege mich wieder hin. Die Figuren aus dem Traum lassen mich nicht los: der harte Blick der jungen Frau, ihre zusammengekniffenen Lippen, ihre breite Hand, die schwarzen Stiefel. Die beiden Jungen mit ihren vor Angst aufgerissenen Augen, den abstehenden Ohren, dem Bürstenhaarschnitt, den eingerissenen T-Shirts. Warum sind sie nicht weggelaufen?
    Ich presse die Finger gegen die Schläfen. Träume haben ihre eigenen Gesetze. Es gab kein Entkommen für die Zwillinge. Tessa war stärker. Mein Mund ist trocken. Nur weil ich der alten Frau mit dem Terrier begegnet bin. Vielleicht war alles ganz anders.
    Ein SMS -Ton reißt mich aus meinen Gedanken.
Guten Flug. Bis nachher. Ich freu mich. F.
    Ich stehe auf und steige unter die Dusche.
     
    »Sie haben heute nicht gefrühstückt«, stellt die Dame an der Rezeption fest.
    »Nein.«
    Ein fragender Blick.
    »Ich hatte keinen Appetit.«
    »Waren Sie ansonsten zufrieden?«
    »Danke … ja.«
    »Dann bis zum nächsten Mal.« Sie reicht mir meine Kreditkarte.
    Wie kommt sie darauf, dass es ein nächstes Mal geben könnte?
    Die Sonne scheint. In zweieinhalb Stunden geht mein Flug. Sonntags ist kaum Verkehr. Bis zur Rombergstraße brauche ich höchstens fünfundzwanzig Minuten.
    Auf dem Ring 2 wird mir bewusst, wie absurd diese Fahrt ist. Sobald ich ankomme, werde ich wieder umkehren müssen. Es sei denn …
    Ich finde einen Parkplatz in der Rombergstraße und steige aus. Heute ist hier niemand unterwegs. An einem Fenster bewegt sich eine weiße Gardine. Irgendwo kläfft ein Hund. Ich gehe auf die Nummer zehn zu. Mein Zeigefinger findet das Schild sofort. Ich klingele. Gleich wird der Türsummer ertönen. Ich werde meinen Flug verpassen.
    Nichts geschieht. Ich klingele noch einmal.
    Jansens sind nicht zu Hause.
    Ich gehe zu meinem Wagen zurück und fahre los.
    An der Ecke kommt mir ein hagerer Mann in einem blauen Fußballhemd entgegen. Ihm folgen zwei Jungen mit dunklen Locken. Zwillinge. Auch sie tragen blaue Fußballhemden. Der eine versucht, dem anderen den Ball wegzunehmen.
    Ich fahre weiter.
     
    Im

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