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Ferne Tochter

Ferne Tochter

Titel: Ferne Tochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Renate Ahrens
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einer alten Dame beim Aussteigen, ihre Bewegungen sind behutsam und liebevoll.
    Mutter stößt einen ungeduldigen Laut aus.
    »Ja, ich habe Tessa gesehen«, sage ich, ohne mich umzudrehen. »Gestern Nachmittag …«
    Ein Singsang.
    »Nein, kein Grund zur Freude … Sie hatte eine Reihe von Fragen, ich habe sie beantwortet, so gut ich konnte. Das war’s. Mehr Kontakt wünscht Tessa nicht.«
    Die Frau reicht ihrer Mutter einen Stock, sie hakt sie unter, schließt die Autotür. Mit kleinen Schritten gehen die beiden auf die Eingangstür zu. Sie unterhalten sich, über die Enkel, die Urenkel, das gemeinsam verbrachte Wochenende. Die alte Dame lächelt.
    Hinter mir ist es still. Vielleicht hat Mutter begriffen, dass ich über das Thema nicht mehr sprechen will.
    Ich drehe mich um. Sie schreibt.
    Noch fünfundzwanzig Minuten.
    Mutter tropft der Speichel auf den Block. Ich schaue weg.
    Sie schnauft und winkt. Ich soll mich neben sie setzen.
    Erst als ich sitze, darf ich lesen, was sie geschrieben hat.
    TESSA BRAUCHT ZEIT
.
    Ich wünschte, es wäre so.

[home]
    28.
    U nter mir sehe ich das Meer. Noch zehn Minuten bis zur Landung.
    Ich lege
Sabato
beiseite. Wieder bin ich nur bis zu dem Autounfall gekommen, der das Leben des Protagonisten verändern wird. In mir ist kein Platz für ausgedachte Geschichten. Was ist ein Autounfall im Vergleich mit einer wiedergefundenen und verlorenen Tochter?
    Die Gepäckausgabe verzögert sich. Die Leute um mich herum beginnen zu fluchen und zu telefonieren. Ich habe Zeit.
    Benvenuta a Roma!,
simst Francesco
. Bin spätestens um sechs zurück. Wollen wir essen gehen? Freue mich auf dich, F.
    Was soll ich ihm antworten? Die Freude wird nicht lange halten. Mach dich auf einiges gefasst. Nach heute Abend wird nichts mehr so sein wie vorher.
    Möchte lieber zu Hause bleiben. Kuss, J.
     
    Vor dem Fahrstuhl begegne ich Isabella, heute in einem roten Kleid.
    »Warst du im Urlaub?«
    »Nein, ich … habe meine Mutter in Deutschland besucht.«
    »Ist sie krank?«
    »Ja … Woher weißt du das?«
    »Du siehst traurig aus.«
    Ich versuche zu lächeln. »Wollt ihr zu deiner Omi?«
    »Ja, aber Mama und mein kleiner Bruder brauchen immer so lange.«
    »Isabella?«, ruft ihre Mutter von oben. »Komm noch mal rauf.«
    Sie rollt die Augen. »Wahrscheinlich hat er wieder gespuckt.«
    »Willst du mit mir im Fahrstuhl fahren?«
    »Der ist kaputt.«
    »Ach …«
    »Soll ich dir helfen, den Koffer zu tragen?«
    »Danke, das schaffe ich schon.«
    Isabella läuft vor mir die Stufen hinauf. Sie summt ein Wiegenlied.
    Vor ihrer Wohnungstür bleibt sie stehen. »Bist du Deutsche?«
    »Ja …«
    »Und warum sprichst du so gut Italienisch?«
    »Das habe ich gelernt, als ich hierhergekommen bin.«
    »Wann war das?«
    »Vor zwanzig Jahren.«
    Isabella sieht mich staunend an. Gleich wird sie ihrer Mutter berichten, was sie Neues erfahren hat.
    »Ciao«, ruft sie zum Abschied und verschwindet in ihrer Wohnung.
    Ich steige die letzte Treppe hinauf, denke an die Worte von Harald Jansen. Wie neugierig sie auf alles zuging. Auch das habe ich verpasst. Tränen verschleiern mir die Augen. Wenn ich sie nicht weggegeben hätte …
    Ich schließe auf, lasse den Koffer im Flur stehen, lege mich aufs Bett.
     
    Bist du dir sicher, dass eine Adoption das Richtige ist?, fragt Frau Hildebrandt. Ja, antworte ich. Wann ist der Geburtstermin? In dreieinhalb Monaten. Vielleicht geht es dir danach ganz anders und du möchtest das Kind behalten. Glaube ich nicht. Du kannst dich auf jeden Fall noch umentscheiden. Ich weiß, sage ich. Warst du schon bei einer Adoptionsvermittlungsstelle? Nein, aber ich habe die Adresse … Möchtest du, dass ich mitkomme? Ich nicke. Mach vorher einen Termin aus und schreib dir deine Fragen auf. Vier Tage später ist es so weit. Frau Hildebrandt holt mich mit dem Auto ab. Ich kann nicht begreifen, dass deine Eltern dir nicht helfen, sagt sie. Wie kann man sich seinem Kind gegenüber so verantwortungslos verhalten? Immerhin sind sie sich darin einig, murmele ich. Wie sieht’s mit einer Wohngruppe aus?, fragt Frau Hildebrandt. Hast du noch mal darüber nachgedacht? Wird mir alles zu viel, antworte ich. Und wie soll es weitergehen, wenn du das Kind zur Adoption freigegeben hast? Willst du bei deinen Eltern wohnen bleiben? Das wird sich schon finden, antworte ich. Aber brich bitte nicht die Schule ab, sagt Frau Hildebrandt, das wäre so schade. Ich schaue aus dem Fenster. Wie soll ich noch zwei Jahre zur

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