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Ferne Tochter

Ferne Tochter

Titel: Ferne Tochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Renate Ahrens
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mit der Arbeit an der schwangeren Maria beginnen. Ich blicke auf ihr Gesicht, ihre Hände, ihren Bauch. In meinem Innern zieht sich etwas zusammen. Wie habe ich jahrelang Verkündigungen restaurieren können, ohne diesen Schmerz zu spüren?
    Ich versuche, mich auf die Falten in Marias blauem Umhang zu konzentrieren. Es gelingt mir nicht. Ich denke an den Moment gestern Abend, als Francesco zurückkam. Als er noch nichts wusste von dem, was ich vor ihm verborgen habe. Als noch alles möglich war. Jetzt teilt sich mein Leben in ein Vorher und ein Nachher.
    Ein SMS -Ton reißt mich aus meinen Gedanken. Eine Nachricht von Francesco. Meine Hand zittert.
Fähre nach Sardinien storniert.
    Was antworte ich ihm? Schade. Hättest du mich nicht fragen können? Ich habe es nicht anders erwartet. Nein. Es geht nicht um Sardinien.
Lass uns miteinander reden,
schreibe ich.
Bitte! Deine J.
    Der Faltenwurf in Marias Umhang. Wenn ich heute nicht anfange … Ich greife nach meiner Lupe.
     
    Den ganzen Tag habe ich nichts gegessen und nichts getrunken. Auf dem Weg nach Hause kaufe ich mir ein Mandelhörnchen und eine Flasche Wasser.
    Francesco hat mir nicht geantwortet.
    Ich bin darauf gefasst, halbleere Schränke, eine halbleere Wohnung, einen Zettel mit einer neuen Anschrift vorzufinden. Oder ein Schreiben mit dem Briefkopf seiner Kanzlei, in dem mir mitgeteilt wird, dass Francesco Velotti seit dem 3 . Oktober 2011 getrennt von mir, Judith Wolf, lebe. Wie viele Jahre muss man in Italien getrennt gelebt haben, bevor man geschieden werden kann? Zwei? Drei?
    Ich schließe die Wohnungstür auf, finde keinen Zettel und auch kein Schreiben.
    Ich öffne den Kleiderschrank, sehe seine Anzüge, seine Hemden. Es scheint nichts zu fehlen.
    Ich atme auf.
    Vielleicht hat Francesco sich besonnen, kommt wie immer gegen acht Uhr nach Hause, wir essen zusammen und reden über alles.
    Ich schicke ihm eine SMS .
Warte mit dem Essen auf dich. Deine J.
    Ein paar Minuten später lese ich:
Esse woanders, ziehe ins Gästezimmer, lass mich in Ruhe.
    Ich starre auf die SMS . Wie konnte ich glauben, dass Francesco so schnell bereit wäre, mir zu verzeihen?
    Ich muss mit jemandem reden. Selina. Selbst wenn ich sie als Freundin verliere.
    »Pronto?«
    »Hier ist Judith … Ich brauche deine Hilfe …«
    »Jetzt sofort?«
    »Sobald wie möglich.«
    »Hast du wieder Höhenangst bekommen?«
    »Nein, es ist … viel schlimmer …«
    »Weiß Francesco Bescheid?«
    »Wir stecken in einer Krise …«
    »Ich beeile mich.«
     
    Sie macht uns einen caffè. Genau wie vor fünf Wochen. Auch heute trägt sie High Heels.
    »Du wirst enttäuscht von mir sein«, sage ich.
    »Ich habe ein dickes Fell.«
    Sie setzt sich mir gegenüber, nimmt meine Hand, schaut mich an.
    »Hast du Francesco betrogen?«
    »Nicht so, wie du denkst«, antworte ich und erzähle ihr von meiner Tochter.
    Sie unterbricht mich nicht.
    Als ich fertig bin, hält sie noch immer meine Hand fest.
    »Francesco wird darüber hinwegkommen.«
    »Das glaube ich nicht.«
    »Er liebt dich.«
    »Liebe kann verlorengehen. Du hättest ihn neulich hören sollen, als er über seinen Bruder geschimpft hat, der seine Frau seit Jahren betrügt: ›Absolutes Vertrauen ist die Grundlage eines jeden Zusammenlebens.‹«
    »Natürlich …«
    »Er hat kein Vertrauen mehr zu mir.«
    »Das lässt sich neu aufbauen.«
    »Und wenn er das nicht kann oder nicht will?«
    »Dann musst du darum kämpfen.«
    »Francesco meint, ich hätte ihn jahrelang zum Narren gehalten. Er ist so gekränkt, so wütend …«
    »Das wärst du vermutlich auch.«
    Ich nicke.
    »Gab es jemals einen Moment, in dem du kurz davor warst, ihm die Wahrheit zu sagen?«
    »Nein. Bei meinem Weggang aus Deutschland habe ich mir geschworen, mit niemandem darüber zu sprechen. Ich wollte neu anfangen.«
    Wir schweigen. Stimmt das, was ich sage? Ich versuche, mich zu erinnern.
    »Hast du irgendeine Ahnung, was Tessa macht, außer in einer Kneipe zu jobben?«
    Ich schüttele den Kopf.
    »Hast du Angst, es herauszufinden?«
    »Nein, ich wäre erleichtert, wenn ich mehr über ihr Leben wüsste.«
    »Es ist immerhin möglich, dass sie die Schule abgebrochen hat und in schlechte Kreise geraten ist. Vielleicht braucht sie Geld.«
    »Kann sein …«
    »Hat sie noch Kontakt zu ihrem Adoptivvater?«
    »Ja, und ich hatte das Gefühl, dass Harald Jansen jemand ist, der einem Kind viel Wärme geben kann … so wie er mit seinen Zwillingen umgeht …«
    »Sieht sie dir

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