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Ferne Tochter

Ferne Tochter

Titel: Ferne Tochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Renate Ahrens
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können.
    Der Kuchen ist gut, auch Tessa isst mit Appetit. Ich wüsste so gern mehr über sie. Vielleicht versuche ich es gleich noch einmal.
    »Wieso haben Sie mich nicht abgetrieben?«
    Ich verschlucke mich. Auf die Frage war ich nicht vorbereitet. Warum nicht?
    »Hätte doch nahegelegen, oder? Wenn man mit sechzehn schwanger wird und der Freund genauso jung ist …«
    »… Ich konnte es nicht …«
    »Aber Sie haben darüber nachgedacht.«
    »Ja … ich hatte sogar einen Termin … zwei Termine, um genau zu sein …«
    »Haben Sie es bereut, dass Sie nicht hingegangen sind?«
    Ich blicke Tessa an. »Es fällt mir schwer, Ihnen darauf zu antworten …«
    »Also haben Sie es bereut.«
    »In manchen Momenten … ja.«
    Sie lässt sich nichts anmerken.
    »Genauso wie ich die Freigabe zur Adoption in manchen Momenten bereut habe.«
    »Das glaube ich Ihnen nicht.«
    »Es ist aber so.«
    Tessa steht auf.
    »Gehen Sie noch nicht.«
    »Ich habe genug gehört.«
    »Bitte …«
    Sie zieht einen Zehneuroschein aus ihrer Jeans.
    »Ich lade Sie ein.«
    Sie schüttelt den Kopf und greift nach ihrer Jacke.
    »Hier ist meine Adresse.« Ich schiebe ihr meine Karte zu.
    »Die brauche ich nicht.«
    »Nehmen Sie sie mit.«
    Sie lässt sie liegen, neben dem Zehneuroschein.
    »Auf Wiedersehen, Tessa.«
    Ich sehe ihr nach, sie dreht sich nicht um.

[home]
    27.
    I ch liege auf meinem Hotelbett und starre an die Decke. Etwas in meinem Innern ist zerrissen, ein unsichtbares Band, das ich zwanzig Jahre in mir gespürt habe. Nur deshalb habe ich die Hoffnung nie aufgegeben, meiner Tochter irgendwann zu begegnen, ihr zu erklären, warum ich sie nicht behalten konnte. Ich hatte Angst, dass sie ein solches Treffen ablehnen würde, aber sie hat es nicht abgelehnt. Gestern am Telefon klang sie kühl, nicht aggressiv. Ich habe mit Vorwürfen und Anklagen gerechnet, mit Tränen und einem verwirrenden Gefühl der Nähe, der Vertrautheit. Ich habe mir vorgestellt, wir würden Ähnlichkeiten entdecken, nicht nur Äußeres wie die Augen- oder Haarfarbe, sondern Dinge, die Eltern immer so verblüffen. Die gleiche Art, einen Löffel zu halten, das Kinn aufzustützen, die Nasenflügel zu bewegen. Ich habe gedacht, wir würden darüber lachen oder weinen, wären beide überwältigt von der Tatsache, Mutter und Tochter zu sein.
    Wollte Tessa mich in eine Falle locken, mich vierundzwanzig Stunden lang hoffen lassen, ich könnte sie kennenlernen, um mich dann mit kalter Zurückweisung zu bestrafen?
    Francesco ruft an. Ich gebe mir keine Mühe, gut gelaunt zu klingen.
    »Es scheint ein harter Tag gewesen zu sein.«
    »Ja …«
    »Geht es deiner Mutter schlechter?«
    »Ich weiß es nicht … Vielleicht … Es ist alles zu viel …«
    »Gut, dass du morgen nach Hause kommst.«
    Ich schweige.
    »Oder meinst du, du solltest …«
    »Nein«, unterbreche ich ihn.
     
    Das Pressen hilft nichts, der Schmerz wird schlimmer, wie kann er noch schlimmer werden? Seit gestern Nachmittag quäle ich mich, das Kind will nicht raus. Oder kann es nicht raus? Hat sich da was verklemmt? Weißes Licht blendet mich, ich höre dumpfe Stimmen, mal lauter, mal leiser, verzerrte Gesichter tauchen über mir auf und verschwinden wieder. Hier stimmt irgendwas nicht. Der Schmerz zerreißt mich. Ich schreie, fühle etwas zwischen den Beinen. Sie haben es geschafft, verkündet der Arzt. Wo ist das Kind? Warum geben sie es mir nicht? Ich warte auf den Schrei, den Schrei des Kindes, es muss doch schreien. Wenn es nicht schreit. Hektisches Rufen und Rennen. Wieso sagt mir niemand, was los ist? Eine Hand greift nach meiner. Leider müssen wir Ihnen mitteilen. Nein! Nein! Nein! Wie kann das Kind tot sein? Es hat sich gestern noch in mir bewegt.
    Ein Klopfen weckt mich. Wo bin ich?
    Meine Kehle ist rauh. Das Klopfen kommt von nebenan. Habe ich so laut geschrien?
     
    Wieder ein Sommertag im Oktober. Regen wäre mir lieber. Ich packe und zahle.
     
    Mutter trägt ihre hellblaue Bluse und den braunen Rock. Ihr schiefes Gesicht wirkt heute noch schiefer. Sie hält den Schreibblock in der Hand.
    »Morgen, Mutter.«
    Sie summt und zeigt auf den Block.
    HAST DU DEINE TOCHTER GETROFFEN
?,
lese ich.
    Ich gehe ans Fenster. Frag mich nicht, frag mich nie mehr. In einer halben Stunde breche ich auf. Wer weiß, wann ich wiederkomme.
    Vor dem Heim parkt ein schwarzer Mercedes. Eine Frau, nicht viel jünger als Mutter, steigt aus, geht um den Wagen herum und öffnet die Beifahrertür. Sie hilft

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