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Ferne Ufer

Titel: Ferne Ufer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana Gabaldon
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Mund waren natürlich tiefer. Die Nase hatte sich allerdings ein wenig verändert. Der gerade Nasenrücken war an der Wurzel ein wenig dicker, wo ein alter, verheilter Bruch seine Spuren hinterlassen hatte. Dadurch
sah Jamie grimmiger aus, aber es milderte gleichzeitig den Ausdruck hochmütiger Zurückhaltung, der ihm eigen gewesen war, und verlieh ihm einen neuen, rauhen Charme.
    Ich trat durch die offene Klappe im Ladentisch und sah nichts als seine Augen, die auf mich gerichtet waren. Ich räusperte mich.
    »Wann hast du dir die Nase gebrochen?«
    Er zog die Mundwinkel nach oben.
    »Ungefähr drei Minuten, nachdem ich dich das letztemal gesehen habe - Sassenach.«
    Er sprach den Namen zögernd aus, fast wie eine Frage. Uns trennte kaum noch ein halber Meter. Ich streckte die Hand aus und berührte vorsichtig die winzige Narbe.
    Er schreckte zurück, als wäre ein elektrischer Funke auf ihn übergesprungen.
    »Du bist echt«, flüsterte er. Blaß war er mir ohnehin vorgekommen, aber jetzt wich die letzte Farbe aus seinem Gesicht. Er verdrehte die Augen und sank zu Boden. Für einen so großen Mann fiel er recht anmutig, dachte ich.
    Es war nur eine Ohnmacht. Seine Augenlider flatterten, als ich neben ihm niederkniete und sein Halstuch öffnete. Inzwischen hatte ich keine Zweifel mehr, aber ich sah doch unwillkürlich nach, als ich das schwere Leinen beiseite zog. Natürlich war sie da, die kleine dreieckige Narbe direkt über dem Schlüsselbein, die ihm Jonathan Randall, Hauptmann des Achten Dragonerregiments Seiner Majestät, beigebracht hatte.
    Allmählich kehrten seine Lebensgeister zurück. Mit gekreuzten Beinen saß ich auf dem Boden und hatte seinen Kopf in meinen Schoß gebettet. Sein dichtes Haar lag weich in meiner Hand. Er öffnete die Augen.
    »Ist es so schlimm?« fragte ich lächelnd. Dieselbe Frage hatte er mir vor über zwanzig Jahren am Tag unserer Hochzeit gestellt.
    »So schlimm und noch schlimmer, Sassenach.« Er verzog den Mund zu einer Art Lächeln und setzte sich abrupt auf.
    »Großer Gott, du bist tatsächlich echt!«
    »Genau wie du.« Ich sah zu ihm auf. »Ich… ich dachte, du wärst tot.« Ich hatte es leichthin sagen wollen, aber meine Stimme verriet mich. Tränen liefen mir übers Gesicht und benetzten den rauhen Stoff seines Hemdes. Er zog mich heftig an sich.

    Ich zitterte so sehr, daß ich erst nach einiger Zeit bemerkte, daß auch er zitterte, und zwar aus dem gleichen Grund. Ich weiß nicht, wie lange wir so auf dem staubigen Boden saßen und eng umschlungen die Sehnsucht von zwanzig Jahren herausweinten.
    Seine Finger verfingen sich in meinen Haaren, so daß sie sich lösten und mir auf die Schultern fielen. Die Haarnadeln purzelten zu Boden wie Hagelkörner. Ich umklammerte seinen Unterarm und grub meine Finger in das Leinen, als würde er sich in Luft auflösen, wenn ich ihn nicht festhielt.
    Als wäre er von der gleichen Furcht geplagt, packte er mich plötzlich an den Schultern, hielt mich von sich weg und starrte mir ins Gesicht. Er berührte meine Wange und fuhr immer wieder die Linie der Knochen nach, ohne auf meine Tränen und meine laufende Nase zu achten.
    Ich schniefte laut, was ihn offenbar wieder zur Besinnung brachte, denn er ließ mich los und suchte rasch in seinem Ärmel nach einem Taschentuch, mit dem er unbeholfen erst mein Gesicht, dann seins trocknete.
    »Gib her.« Ich nahm ihm das Tuch aus der Hand und putzte mir die Nase. »Jetzt du.« Ich reichte ihm das Taschentuch und beobachtete ihn, als er sich schneuzte und dabei Laute von sich gab wie eine strangulierte Gans. Überwältigt von meinen Gefühlen, kicherte ich los.
    Auch er lächelte und wischte sich die Tränen aus den Augen. Er konnte den Blick nicht von mir wenden.
    Plötzlich hielt ich es nicht mehr aus, ihn nicht zu berühren. Ich stürzte mich auf ihn, und es gelang ihm gerade noch, mich aufzufangen. Ich drückte ihn, bis ich seine Rippen knacken hörte, während er mir ungestüm über den Rücken strich und immer wieder meinen Namen sagte.
    Schließlich ließ ich ihn los und rückte ein wenig ab, während er stirnrunzelnd auf den Boden zwischen seinen Beinen blickte.
    »Hast du etwas verloren?« fragte ich erstaunt.
    Er blickte auf und lächelte mich beinah schüchtern an.
    »Ich hatte Angst, ich hätte alle Beherrschung verloren und mich vollgepinkelt, aber es ist schon gut. Ich hab’ mich nur auf den Alekrug gesetzt.«
    Tatsächlich breitete sich ein kleiner See aus duftender

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