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Ferne Ufer

Titel: Ferne Ufer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana Gabaldon
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streckte die Hand aus. »Komm her.«
    Ich hatte mir lange und genau überlegt, was ich mitnehmen wollte. Da ich schon einmal der Hexerei angeklagt gewesen war, war ich sehr vorsichtig. Aber auf eins hatte ich keinesfalls verzichten wollen, ganz gleich, welche Folgen es haben würde, wenn jemand es sah.
    Ich setzte mich aufs Bett, zog ihn neben mich und nahm ein kleines Päckchen aus der Tasche. Ich löste die wasserdichte Hülle und legte den Inhalt in Jamies Hände. »Da«, sagte ich.
    Er nahm sie vorsichtig, als handelte es sich um eine unbekannte und möglicherweise gefährliche Substanz. Die Fotos lagen in seinen großen Händen wie in einem Rahmen. Brianna als Neugeborene, die winzigen Fäuste geballt, die schrägen Augen geschlossen.
    Jamie war erschüttert. Regungslos, mit weit aufgerissenen Augen hielt er die Bilder an die Brust gepreßt - als hätte ein Pfeil sein Herz durchbohrt, und so ähnlich fühlte er sich wohl auch.
    »Dies schickt dir deine Tochter«, sagte ich, nahm sein starres Gesicht zwischen beide Hände und küßte ihn sanft auf den Mund. Das riß ihn aus seiner Trance. Er blinzelte, und seine Züge belebten sich wieder.
    »Meine… sie…« Seine Stimme war heiser vor Rührung. »Tochter. Meine Tochter. Sie … weiß es?«
    »Ja. Schau dir die anderen Bilder an.« Ich zog das erste Foto aus seiner Hand, so daß der Schnappschuß zutage kam, der Brianna an ihrem ersten Geburtstag zeigte - von oben bis unten mit Torte beschmiert, teuflisch grinsend und ihren neuen Stoffhasen schwenkend.
    Jamie stöhnte leise auf, und sein Griff lockerte sich, so daß ich ihm den Bilderstapel aus der Hand nehmen und ihm die Fotos einzeln geben konnte.

    Brianna als Zweijährige in ihrem Schneeanzug, mit runden Apfelbäckchen und seidenweichen Haaren, die unter der Mütze hervorlugen.
    Brianna mit fünf, als stolze Besitzerin einer Brotzeittasche, wie sie auf den Bus wartet, der sie zum Kindergarten bringt.
    »Sie wollte mich nicht mitfahren lassen, sie wollte allein fahren. Sie ist sehr t-tapfer, vor nichts hat sie Angst…« Meine Stimme versagte fast, als ich ihm die Bilder nacheinander zeigte und erklärte.
    »O Gott!« sagte er bei dem Bild von Brianna mit zehn Jahren. Sie sitzt auf dem Küchenboden und umarmt Smoky, den großen Neufundländer. Es war ein Farbfoto, und ihr leuchtendes Haar hob sich vom glänzenden schwarzen Fell des Hundes ab.
    Jetzt zitterten seine Hände so sehr, daß er die Bilder nicht mehr halten konnte. Ich mußte es für ihn tun. Diese Bilder zeigten ihr Gesicht in allen Stimmungen, die ich einfangen konnte, dieses Gesicht mit der langen Nase und dem großen Mund, den hohen, flachen Wangenknochen und den schrägen Augen - eine feingliedrigere, zartere Ausgabe ihres Vaters, des Mannes, der neben mir auf dem Bett saß und weinte.
    Zitternd breitete er eine Hand über die Fotos, ohne die glänzende Oberfläche zu berühren. Dann drehte er sich um, sank mit der Anmut eines umstürzenden Baumes an meine Brust und ließ seinen Tränen freien Lauf.
    Ich drückte ihn an mich, schlang die Arme fest um die breiten, bebenden Schultern und begann ebenfalls zu weinen. Ich legte meine Wange auf seinen Scheitel und murmelte leise, unzusammenhängende Trostworte, als wäre er Brianna.
    »Wie heißt sie?« Endlich hob er den Kopf und wischte sich mit dem Handrücken die Nase ab. Er hob die Fotos vorsichtig wieder auf, als könnten sie sich bei der Berührung auflösen. »Welchen Namen hast du ihr gegeben?«
    »Brianna«, erwiderte ich stolz.
    »Brianna?« Stirnrunzelnd betrachtete er die Bilder. »Was für ein schrecklicher Name für ein kleines Mädchen!«
    Ich zuckte zusammen, als hätte er mich geschlagen. »Er ist nicht schrecklich!« gab ich zurück. »Das ist ein schöner Name, und außerdem hast du mir gesagt, ich soll sie so nennen!«
    » Ich habe dir gesagt, du sollst sie so nennen?« Er blinzelte.

    »Genau! Als wir… als wir… als ich dich zum letztenmal sah.« Ich preßte die Lippen aufeinander, um nicht loszuheulen. Nach einer Weile hatte ich mich soweit gefaßt, daß ich hinzufügen konnte: »Du hast gesagt, ich soll das Kind nach deinem Vater nennen. Er hieß doch Brian, oder?«
    »Aye, so hieß er.« Ein Lächeln gewann die Oberhand über die Gefühle, die sich in seinem Gesicht zeigten. »Aye«, sagte er. »Ja, du hast recht. Es ist nur - ich dachte, es würde ein Junge werden.«
    »Und es tut dir leid, daß es keiner geworden ist?« Wütend begann ich, die verstreuten Fotos

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