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Ferne Ufer

Titel: Ferne Ufer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana Gabaldon
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»Auf nach England!« Die Menge hatte gebrüllt vor Freude über diese Darbietung jugendlicher Siegeslaune und sportlicher Tüchtigkeit. Meine Begeisterung hatte sich in Grenzen gehalten, da mir aufgefallen war, daß man zur Vorbereitung dieser Übung das Wasser abgelassen hatte.
    Ich fragte mich, wo sich Charlie jetzt befand. Nach Culloden war er vermutlich nach Italien zurückgegangen. Ich wußte nicht, was er trieb, und ich wollte es auch gar nicht wissen. Aus der Geschichte war er ebenso verschwunden wie aus meinem Leben, und hinterlassen hatte er nur Zerstörung und Verwüstung. Es blieb abzuwarten, was noch zu retten war.

    Ich war sehr hungrig. Seit dem eiligen Frühstück unterwegs, bestehend aus grobem Haferbrei und gekochtem Hammelfleisch, hatte ich nichts mehr gegessen. In meiner Tasche steckte noch ein letztes Brot, das ich unter den neugierigen Blicken meiner Mitreisenden nicht hatte verzehren wollen. Erdnußbutter und Gelee auf Weißbrot - es war schon etwas mitgenommen, aber es schmeckte köstlich. Wie oft hatte ich morgens Erdnußbutter für Brianna aufs Brot gestrichen? Entschlossen unterdrückte ich den Gedanken und betrachtete zum Zeitvertreib die Vorübergehenden. Sie sahen etwas anders aus als moderne Stadtbewohner. Männer und Frauen waren meist kleiner und zeigten alle Anzeichen von Mangelernährung. Und doch waren mir die Leute durch und durch vertraut - es waren größtenteils Schotten und Engländer, und als ich das melodische, gutturale Stimmengewirr in den Straßen vernahm, hatte ich, nach all den Jahren in Boston, das Gefühl, endlich daheim zu sein.
    Rasch schluckte ich den letzten süßen Bissen meines alten Lebens hinunter und zerknüllte die Verpackung in meiner Hand. Ich sah mich um und ließ das Stückchen Plastikfolie verstohlen auf den Boden fallen.
    Der Wind trug es davon, unbemerkt von den Vorübergehenden. Ich fragte mich, ob meine eigene unzeitgemäße Anwesenheit ebensowenig Schaden anrichten würde.
    »Du trödelst, Beauchamp«, sagte ich mir. »Zeit, daß du weiterkommst.« Ich holte tief Luft und stand auf.
    »Verzeihung«, sagte ich und hielt einen Bäckerjungen am Ärmel fest. »Ich suche einen Drucker - einen Mr. Malcolm. Alexander Malcolm.« Vor Angst und Aufregung rumorte es in meinem Bauch. Was, wenn es in Edinburgh gar keine Druckerei gab, die einem Alexander Malcolm gehörte?
    Doch es gab eine. Der Junge verzog nachdenklich das Gesicht, dann hellte sich seine Miene auf.
    »Aber ja, Madam - da hinunter und dann links. Carfax Close.« Er rückte die Brotlaibe unter seinem Arm zurecht, nickte und verschwand im Gedränge.
    Carfax Close. Ich bahnte mir meinen Weg durch die Menge und drückte mich nah an den Häusern entlang, um dem Schwall von Schmutzwasser zu entgehen, der sich gelegentlich aus den Fenstern
hoch oben ergoß. In Edinburgh lebten mehrere tausend Menschen, und ihr Abwasser lief die Gosse hinunter - bewohnbar blieb die Stadt nur dank der Schwerkraft und der häufigen Regengüsse.
    Die niedrige, dunkle Einfahrt zur Carfax Close gähnte mir auf der anderen Seite der Royal Mile entgegen. Wie angewurzelt blieb ich stehen und starrte hinüber. Mein Herz klopfte so laut, daß man es noch einen Meter neben mir hätte hören können.
    Es regnete nicht, sah aber nach Regen aus, und in der feuchten Luft lockten sich meine Haare. Ich strich sie mir aus der Stirn und richtete meine Frisur, so gut es ohne Spiegel ging. Da sah ich ein Stück weiter oben ein großes Tafelglasfenster und eilte darauf zu.
    Meine Haare hatten die Gelegenheit genutzt, sich wie verrückt in alle Richtungen zu kringeln, so daß ich eine gewisse Ähnlichkeit mit Medusa aufwies. Ungeduldig zog ich die Haarnadeln heraus und begann, meine Locken hochzustecken.
    In dem Geschäft beugte sich eine Frau über den Ladentisch. Sie hatte drei Kinder bei sich, und ich beobachtete nebenbei, wie sie die Kleinen ärgerlich anfuhr und mit ihrem Retikül nach dem mittleren Kind, einem Jungen, schlug, weil er mit frischen Anisstengeln herumspielte, die in einem Wasserkübel auf dem Boden standen.
    Es war eine Apotheke. Über der Tür stand der Name »Haugh«, den ich freudig wiedererkannte. Hier hatte ich während meiner kurzen Zeit in Edinburgh Kräuter gekauft. Die Schaufensterdekoration war mittlerweile um ein großes Gefäß mit gefärbtem Wasser bereichert worden, in dem eine menschenähnliche Gestalt trieb. Vielleicht ein Schweinefötus oder ein Babypavian; sein flaches, boshaftes Gesicht, das sich gegen

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