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Ferne Ufer

Titel: Ferne Ufer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana Gabaldon
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immer jemand die Treppe hinauf-oder hinunterpolterte und der Lärm der Kinder aus dem ersten Stock drang.
    »Wie geht es den Kindern?« fragte ich Jenny, um das Schweigen zu brechen. Als sie zusammenzuckte, merkte ich, daß ich wohl die falsche Frage gestellt hatte.
    »Ach, es geht ihnen gut«, antwortete sie zögernd. »Sie sind alle wohlauf, und unsere Enkelkinder genauso.« Der Gedanke an sie entlockte ihr ein Lächeln.
    »Die meisten sind auf Besuch beim jungen Jamie«, warf Ian ein und beantwortete damit meine eigentliche Frage. »Seine Frau hat letzte Woche ein Baby bekommen, und die Mädchen gehen ihr ein wenig zur Hand. Michael ist im Augenblick in Inverness, um ein paar Pakete aus Frankreich zu holen.«
    Rasch tauschten Ian und Jamie einen Blick. Jamie neigte unmerklich den Kopf, was Ian mit einem Nicken beantwortete. Was zum Teufel sollte das nun wieder bedeuten? Die Atmosphäre im
Raum war zum Zerreißen gespannt. Am liebsten wäre ich aufgestanden und hätte die Versammlung zur Ordnung gerufen.
    Offensichtlich empfand Jamie ähnlich. Er räusperte sich, blickte Ian in die Augen und sprach den wichtigsten Punkt der Tagesordnung an: »Wir haben den Jungen mitgebracht.«
    Ian atmete geräuschvoll ein, und sein freundliches Gesicht verhärtete sich. »Ach ja?«
    Ich spürte, wie sich Jamies Muskeln strafften, als er sich zur Verteidigung seines Neffen wappnete.
    »Der Junge ist in Ordnung, Ian«, meinte er.
    »So, ist er das?« Die Antwort kam von Jenny. »Man mag es kaum glauben, wenn man ihn zu Hause erlebt. Aber vielleicht ist er bei dir anders, Jamie.« Ihre Stimme klang anklagend, und Jamie versteifte sich.
    »Nett von dir, ihn in Schutz zu nehmen, Jamie«, warf Ian ein und lächelte kühl. »Aber wir wollen es uns von ihm selbst erzählen lassen. Ist er oben?«
    Jamies Mundwinkel zuckten. Gleichmütig antwortete er: »Ich glaube, er ist in der Spülküche. Er wollte sich noch waschen, bevor er euch gegenübertritt.« Warnend drückte er meinen Schenkel. Kein Wort über Janet. Ich verstand. Sie war mit ihren Geschwistern fortgeschickt worden, damit Jenny und Ian sich in Ruhe um mich und ihren Ausreißer kümmern konnten, war aber heimlich wieder zurückgekommen, um einen Blick auf ihre berüchtigte Tante Claire werfen zu können oder um ihrem Bruder Beistand zu leisten.
    Ians Schritte und das regelmäßige Klopfen seines Holzbeins hallten aus dem Flur. Er war in die Spülküche gegangen. Jetzt kam er mit dem jungen Ian zurück, den er grimmig vor sich herschob.
    Seife, Wasser und Rasiermesser hatten ihr Bestes getan, um den verlorenen Sohn in einen adretten Jungen zu verwandeln. Seine mageren Wangen waren gerötet, und das nasse Haar stand ihm im Nacken in Spitzen ab. Den Staub auf seinem Rock hatte er größtenteils abgebürstet und den Hemdkragen ordentlich zugeknöpft. Aus der verkohlten Hälfte seines Schopfes war nicht viel zu machen gewesen, dafür war die andere Seite hübsch ordentlich gekämmt. Obwohl er keine Halsbinde trug und in seinen Kniehosen ein Riß klaffte, sah er doch alles in allem so gut aus, wie man
überhaupt nur aussehen kann, wenn man damit rechnet, jeden Augenblick erschossen zu werden.
    »Mama«, begrüßte er seine Mutter und nickte ihr verlegen zu.
    »Ian«, entgegnete sie so sanft, daß er, verwirrt über den freundlichen Ton, aufblickte. Ihr Mund verzog sich zu einem Lächeln, als sie sein Gesicht sah. »Ich bin froh, daß du wieder daheim bist, mo chridhe .«
    Die Miene des Jungen erhellte sich augenblicklich, als hätte man dem Exekutionskommando seine Begnadigung verkündet. Doch ein Blick in das Gesicht seines Vaters ließ ihn erstarren. Er schluckte, ließ den Kopf hängen und starrte auf die Dielenbohlen.
    »Mmmpf.« Ian klang überaus streng. Er hatte mehr Ähnlichkeit mit Reverend Campbell als mit dem gelassenen Mann, den ich von früher her kannte. »Also, ich möchte wissen, was du zu deiner Verteidigung vorzubringen hast, Junge.«
    »Ach, nun… ich…« Der junge Ian hielt inne, bevor er erneut ansetzte. »Tja… eigentlich nichts, Vater«, murmelte er.
    »Sieh mich an!« sagte Ian scharf. Widerstrebend hob der Junge den Kopf und blickte seinem Vater ins Gesicht.
    Aber seine Augen wanderten unruhig umher, als hätte er Angst, allzulange in das strenge Gesicht blicken zu müssen.
    »Weißt du überhaupt, was du deiner Mutter angetan hast?« fragte Ian. »Du bist einfach weggegangen, und sie wußte nicht, ob du verwundet bist oder gar tot! Du bist verschwunden,

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