Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Ferne Ufer

Titel: Ferne Ufer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana Gabaldon
Vom Netzwerk:
Strähnen durchzogen. Auch die breiten, hohen Wangenknochen und die lange Nase, die sie mit Jamie gemein hatte, waren mir vertraut. Der seltsam veränderte Gesichtsausdruck rührte von dem flackernden Schein des Feuers her, der erst die Falten um Mund und Augen vertiefte und ihr das Aussehen einer alten Frau verlieh und sie dann wieder frisch wie ein junges Mädchen wirken ließ.
    Bei unserer Begegnung im Bordell hatte Ian reagiert, als wäre ich ein Gespenst. Genauso verhielt Jenny sich jetzt. Sie zwinkerte ein bißchen, der Mund stand ihr offen, aber ansonsten blieb ihr Gesichtsausdruck unverändert, als ich auf sie zuging.
    Jamie folgte mir. Er hielt meinen Ellbogen umfaßt und drückte ihn ein wenig, als wir ans Sofa traten. Dann ließ er los. Ich hatte das Gefühl, bei Hof eingeführt zu werden, und widerstand dem Verlangen, einen Knicks zu machen.
    »Wir sind wieder da, Jenny«, sagte er.
    Sie warf einen Blick auf ihren Bruder, bevor sie mich erneut anstarrte.
    »Bist du es wirklich, Claire?« Ihre weiche Stimme klang vertraut.
Aber es war nicht die entschlossene Stimme der Frau, die ich in Erinnerung hatte.
    »Ja«, erwiderte ich. Lächelnd streckte ich ihr meine Hände entgegen. »Ich freue mich, dich zu sehen, Jenny.«
    Vorsichtig nahm sie meine Hände. Doch dann griff sie fester zu und erhob sich. »Himmel, du bist es wirklich!« rief sie, und plötzlich stand die Frau, die ich gekannt hatte, wieder vor mir. Ihre dunkelblauen Augen sprühten vor Leben und erforschten neugierig mein Gesicht.
    »Natürlich ist sie es«, meinte Jamie schroff. »Ian hat es dir doch gewiß gesagt. Oder hast du gedacht, er lügt?«
    »Du hast dich fast nicht verändert«, bemerkte sie, ohne auf die Worte ihres Bruders zu achten, und berührte erstaunt mein Gesicht. »Deine Haare sind etwas heller, aber, lieber Himmel, du siehst aus wie damals.« Ihre Finger fühlten sich kühl an, und ihre Hände rochen nach Kräutern und roter Johannisbeermarmelade und der Wolle, die sie gerade verarbeitete.
    Der Duft der Wolle ließ die Vergangenheit wieder aufleben. Unzählige Erinnerungen an diesen Ort und die glückliche Zeit, die ich hier verbracht hatte, kehrten zurück, und meine Augen füllten sich mit Tränen.
    Jenny bemerkte es und umarmte mich fest. Weich spürte ich ihr Haar an meinem Gesicht. Obwohl sie um etliches kleiner und zierlicher war als ich, fühlte ich mich geschützt und geborgen.
    Nach einer Weile trat sie zurück. »Guter Gott, du riechst ja sogar wie früher!« lachte sie, und ich stimmte in ihr Gelächter ein.
    Ian hatte sich neben mich gestellt. Er beugte sich vor, umarmte mich und huschte mit den Lippen über meine Wange. Er roch nach getrocknetem Heu und Kohlblättern, und über seinem moschusartigen Körpergeruch wehte ein Hauch von Torfrauch.
    »Schön, dich wiederzusehen, Claire«, sagte er. Seine weichen, braunen Augen lächelten mich an und verstärkten mein Gefühl, wieder zu Hause zu sein. »Magst du vielleicht etwas essen?« Er deutete auf das Tablett, das auf dem Tisch stand.
    Ich zögerte einen Augenblick, doch Jamie war schon unterwegs.
    »Ein Tropfen käme nicht ungelegen, Ian«, meinte er.
    »Möchtest du auch, Claire?«
    Wir setzten uns ans Feuer, Gläser wurden gefüllt, Gebäck herumgereicht
und mit vollem Mund höfliche Bemerkungen ausgetauscht. Trotz der offenkundigen Herzlichkeit spürte ich die unterschwellige Spannung, die nicht allein von meiner unerwarteten Wiederkehr herrührte.
    Jamie, der neben mir auf der Eichenbank saß, nippte nur an seinem Bier und rührte den Haferkuchen nicht an. Mir war klar, daß er sich nicht aus Hunger auf die Erfrischungen gestürzt hatte, sondern um seine Enttäuschung darüber zu verbergen, daß ihn weder seine Schwester noch sein Schwager zum Empfang umarmt hatten.
    Ian und Jenny tauschten einen kurzen, Jenny und Jamie einen längeren, für mich unergründlichen Blick. Ich fühlte mich hier in mehr als einer Hinsicht als Fremde, also hielt ich die Augen gesenkt und beobachtete unter halbgeschlossenen Lidern, was sich um mich herum abspielte. Jamie saß links neben mir, und ich spürte, wie er mit den steifen Fingern seiner Rechten rhythmisch auf seinen Oberschenkel klopfte.
    Als das Gespräch, falls man es überhaupt als solches bezeichnen konnte, verebbte, trat ein beklemmendes Schweigen ein. Neben dem leisen Zischen des Torffeuers vernahm ich gedämpfte Geräusche aus der Küche - nichts im Vergleich zu früher, als im Haus ständig reges Treiben herrschte,

Weitere Kostenlose Bücher