Ferne Ufer
festnahmen. Ich hatte Jenny versprochen, es nicht zu tun - sie glaubte, daß sie mich verletzen würden -, aber als die Zeit gekommen war, konnte ich einfach nicht anders.« Wieder zuckte er die Achseln und öffnete seine verkrüppelte rechte Hand mit den beiden steifen Fingern. Langsam ballte er sie zur Faust.
»Ich habe sie mir damals noch einmal gebrochen, am Kiefer eines Dragoners«, sagte er und bewegte vorsichtig den Ringfinger. »Das war das drittemal, das zweitemal war bei Culloden. Es hat mir nicht viel ausgemacht. Aber dann haben sie mich in Ketten gelegt, und das hab’ ich kaum ausgehalten.«
»Das kann ich mir denken.« Die Vorstellung, wie dieser geschmeidige,
kraftvolle Körper durch eiserne Fesseln gebändigt wurde, tat mir weh.
»Im Gefängnis ist man nie für sich«, fuhr er fort. »Das hat mich noch mehr gestört als die Ketten. Wenn man Tag und Nacht andere um sich hat, kann man nie einen eigenen Gedanken fassen, außer man täuscht Schlaf vor. Und was das andere betrifft…« Er schnaubte verächtlich. »Man wartet eben, bis die Nacht kommt, denn nur die Dunkelheit schützt einen vor neugierigen Blicken.«
Die Zellen waren nicht groß, und nachts lagen die Männer nah beisammen, um sich zu wärmen. Da war es unmöglich, nicht mitzubekommen, wie die anderen ihr Verlangen stillten.
»Ich lag über ein Jahr in Ketten, Sassenach.« Er hob die Arme, breitete sie einen halben Meter aus und hielt dann jäh inne, als hätte er eine unsichtbare Grenze erreicht. »So weit konnte ich mich bewegen, nicht weiter«, sagte er und starrte auf seine reglosen Hände. »Und meine Hände konnte ich gar nicht rühren, ohne daß die Kette rasselte.«
Hin- und hergerissen zwischen Scham und Begierde, hatte er in der Dunkelheit gewartet, hatte den tierischen, schalen Geruch der anderen Männer eingeatmet und auf den Atem seiner Gefährten gehorcht, bis ihm die gleichmäßigen Atemzüge verrieten, daß niemand mehr auf das Klirren seiner Kette achten würde.
»Wenn es eins gibt, was ich ganz genau kenne, Sassenach«, sagte er mit einem Seitenblick auf Fergus, »dann sind es die Geräusche, die ein Mann macht, wenn er eine Frau liebt, die nicht da ist.«
Mit einer jähen Bewegung sprengte er die unsichtbaren Ketten und lächelte mich an. Ich aber sah hinter dem humorvollen Funkeln die dunklen Erinnerungen. Dort sah ich auch das schreckliche Verlangen, die brennende Begierde, die stärker war als die Einsamkeit und Erniedrigung, Verwahrlosung und Trennung.
Reglos standen wir da und sahen uns an, ohne darauf zu achten, was auf Deck vor sich ging. Er verstand es besser als jeder andere, seine Gedanken zu verbergen, aber vor mir verbarg er nichts.
Der Hunger brannte in ihm, und auch ich fing Feuer, als ich es sah. Seine Hand lag neben meiner auf der hölzernen Reling… Wenn ich ihn berührte, dachte ich plötzlich, würde er sich umdrehen und mich hier und jetzt auf den Holzbrettern des Decks nehmen.
Als könnte er Gedanken lesen, griff er plötzlich nach meiner Hand und preßte sie an seinen Schenkel.
»Wie oft bin ich bei dir gelegen, seit du zurückgekehrt bist?« flüsterte er. »Ein-, zweimal im Bordell. Dreimal auf der Heide. Und dann in Lallybroch und später in Paris.« Seine Finger klopften sachte im Rhythmus meines Herzschlags auf mein Handgelenk.
»Jedesmal, wenn ich von deinem Lager aufstehe, ist mein Verlangen genauso groß wie zuvor. Damit ich bereit bin, braucht es jetzt nicht mehr als den Duft von deinem Haar, das mein Gesicht berührt, oder das Gefühl, wie dein Schenkel den meinen streift, wenn wir uns zu Tisch setzen. Oder deinen Anblick, wenn du auf Deck stehst und der Wind das Kleid eng an deinen Leib drückt…«
Seine Mundwinkel zuckten, als er mich ansah, und der Pulsschlag an seinem Hals raste.
»Es gibt Augenblicke, Sassenach, da bin ich ganz kurz davor, dich auf der Stelle zu nehmen, an einen Mast gelehnt, deine Röcke über die Taille hochgeschoben, und der Teufel soll die verdammte Mannschaft holen!«
Meine Finger zuckten, und seine Hand schloß sich fester um die meine, während er freundlich den Gruß des Kanoniers erwiderte, der auf dem Weg zur Achtergalerie an uns vorbeikam.
Die Glocke, die zur Tafel des Kapitäns rief, erklang unter meinen Füßen - eine helle metallische Schwingung, die sich durch meine Fußsohlen fortpflanzte. Fergus und Marsali unterbrachen ihr Spiel und gingen nach unten, während die Mannschaft Vorbereitungen zur Wachablösung traf. Wir aber blieben an
Weitere Kostenlose Bücher