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Ferne Ufer

Titel: Ferne Ufer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana Gabaldon
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aus.«
    »Das ist es auch nicht.« Ärgerlich fuhr sich Jamie mit der Hand durch die Haare. »Er tut es absichtlich, um die Mannschaft zu provozieren.«
    »Wenn er darauf aus ist, macht er seine Sache gut«, bemerkte ich. »Aber warum, in aller Welt?«

    Jamie schnaubte nur.
    »Aye, das ist kompliziert. Hast du schon mal einen Chinesen kennengelernt?«
    »Einige, aber vermutlich sind sie in meiner Zeit ein wenig anders«, bemerkte ich trocken. »Sie tragen weder einen Zopf noch Seidenschlafanzüge, und sie sind auch nicht von Frauenfüßen besessen - oder zumindest haben sie es mir nicht erzählt«, fügte ich fairerweise hinzu.
    Jamie lachte und rückte ein Stück näher zu mir heran, so daß sich unsere Hände auf der Reling berührten.
    »Es hat etwas mit den Füßen zu tun«, sagte er. »Oder damit hat es jedenfalls angefangen. Josie, eine der Huren bei Madame Jeanne, hat Gordon davon erzählt, und er hat es natürlich weitererzählt, so daß es jetzt alle wissen.«
    »Was in aller Welt hat es denn mit den Füßen auf sich?« Meine Neugier war nun nicht mehr zu bändigen. »Was macht er eigentlich damit?«
    Jamie hustete, und das Blut stieg ihm in die Wangen. »Also, das ist ein bißchen…«
    »Du kannst mir gewiß nichts erzählen, was mir einen Schock versetzen könnte«, versicherte ich ihm. »Ich habe schon einiges erlebt - und zwar unter anderem mit dir.«
    »Das glaube ich auch«, entgegnete er grinsend. »Aye, es ist weniger das, was er damit macht, sondern - tja, in China bindet man den vornehmen Frauen die Füße ein.«
    »Davon habe ich schon gehört.« Ich fragte mich, was der ganze Wirbel sollte. »Man will damit erreichen, daß ihre Füße klein und anmutig sind.«
    Wieder schnaubte Jamie verächtlich. »Anmutig, aye? Weißt du, wie sie das anstellen?« Und er schilderte es mir.
    »Sie nehmen ein kleines Mädchen und drehen ihm die Zehen um, bis sie die Fersen berühren. Dann wickeln sie Bandagen um die Füße, damit es hält.
    Die Kinderfrau nimmt die Bandagen ab und zu ab, um die Füße zu waschen, doch dann wickelt sie sie sofort wieder fest. Und wenn sie erwachsen ist, hat das arme Mädel bloß noch einen zusammengedrückten Klumpen aus Haut und Knochen am Bein, kleiner als meine Faust.« Er schlug mit der geballten Faust gegen die hölzerne
Reling, um seine Geschichte zu veranschaulichen. »Aber dann hält man sie für wunderschön. Anmutig, wie du sagst.«
    »Das ist vollkommen widerwärtig!« rief ich. »Aber was hat das mit…« Ich warf einen Blick auf Mr. Willoughby, der aber nichts zu hören schien. Der Wind wehte von ihm in unsere Richtung und trug unsere Worte aufs Meer hinaus.
    »Nun ist er eben auf Füße fixiert, verstehst du? Und mit den Füßen von Madame Jeannes Huren hat er so allerlei probiert, was die Damen entsetzt hat.«
    Allmählich begriff ich, warum alle dem kleinen Chinesen mit solcher Feindseligkeit begegneten. Selbst nach kurzer Bekanntschaft mit der Besatzung der Artemis war mir klargeworden, daß sich Seeleute im allgemeinen ziemlich galant verhielten und den Frauen höchst romantische Gefühle entgegenbrachten - zweifellos, weil sie den Großteil des Jahres ohne weibliche Gesellschaft auskommen mußten.
    »Hm«, machte ich und warf einen mißtrauischen Blick auf Mr. Willoughby. »Gut, das erklärt vielleicht das Verhalten der anderen, aber was ist mit ihm?«
    »Das ist etwas komplizierter.« Jamie lächelte gequält. »Schau, für Mr. Yi Tien Tschu aus dem Reich der Mitte sind wir Barbaren.«
    »Tatsächlich?« Ich blickte zu Brodie Cooper hinauf, der soeben die Webeleine hinunterkletterte und von dem nur die schwieligen, schwarzen Fußsohlen zu sehen waren. Wahrscheinlich hatten beide Seiten recht. »Du etwa auch?«
    »Aber ja. Ich bin ein dreckiger, übelriechender ausländischer Teufel mit einem Gestank wie ein Wiesel - ich glaube, das ist die Bedeutung von huang-shu-lang - und einem grotesk häßlichen Gesicht«, erklärte er vergnügt.
    »Das hat er dir alles an den Kopf geworfen?« Seltsame Art, seinem Lebensretter zu danken. Jamie sah mich an und zog die Brauen hoch.
    »Nun, unser Mr. Willoughby nimmt kein Blatt vor den Mund, wenn er etwas getrunken hat«, erklärte er. »Ich glaube, der Branntwein läßt ihn vergessen, wie klein er in Wirklichkeit ist - jedenfalls gibt er dann ziemlich an.«
    Er nickte dem eifrig malenden Mr. Willoughby zu. »Solange er nüchtern ist, benimmt er sich etwas umsichtiger, aber er denkt genauso.
Es ärgert ihn einfach, aye? Vor

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