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Ferne Ufer

Titel: Ferne Ufer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana Gabaldon
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allem, weil er weiß, wenn ich nicht wäre, würde ihn wahrscheinlich jemand niederschlagen oder ihn in einer ruhigen Nacht über Bord gehen lassen.«
    Er sprach ganz sachlich über das Thema, aber mir war nicht entgangen, welche Seitenblicke uns die Seeleute im Vorbeigehen zuwarfen. Inzwischen war mir klar, warum Jamie seine Zeit in müßigem Gespräch mit mir an der Reling vertat. Wenn jemand bezweifeln sollte, daß Mr. Willoughby tatsächlich unter Jamies Schutz stand, wäre er schnell eines Besseren belehrt worden.
    »Also hast du ihm das Leben gerettet, ihm Arbeit gegeben und ihm immer wieder aus der Patsche geholfen, und er beleidigt dich dafür und glaubt, du seist ein unwissender Barbar«, bemerkte ich. »Ein reizendes Kerlchen.«
    »Ach, na ja.« Der Wind hatte gedreht und blies Jamie eine Haarsträhne ins Gesicht. Er beugte sich noch näher zu mir. »Er soll sagen, was er will. Ich bin der einzige, der ihn versteht.«
    »Wirklich?« Ich legte meine Hand auf die seine.
    »Vielleicht ist verstehen nicht das richtige Wort«, räumte er ein. Er blickte zu Boden. »Aber ich erinnere mich«, sagte er leise, »wie es ist, wenn man nichts mehr hat als seinen Stolz - und einen Freund.«
    Mir fiel wieder ein, was Innes gesagt hatte, und ich fragte mich, ob der Einarmige in Zeiten der Not sein Freund gewesen war. Ich wußte, was er meinte. Ich hatte Joe Abernathy gehabt, und er hatte mir viel bedeutet.
    »Ja, ich hatte einen Freund im Krankenhaus…«, fing ich an, wurde aber von einem lauten Zornesausbruch unterbrochen, der von unten heraufdrang.
    »Verdammt! Tod und Teufel! Dieser Drecksack, dieser Sohn eines Schweinefurzes!«
    Verblüfft blickte ich zu Boden, doch dann wurde mir klar, daß die Flüche aus der Kombüse heraufschallten, über der wir standen. Das Gebrüll erregte die Aufmerksamkeit einiger Matrosen, die sich neben uns versammelten und fasziniert beobachteten, wie der Koch seinen schwarzbetuchten Kopf aus der Luke streckte und wütend um sich blickte.
    »Lahmarschige Trottel!« rief er. »Worauf wartet ihr? Zwei von euch nichtsnutzigen Bastarden bewegen jetzt ihren Hintern hier
herunter und werfen diesen Unrat über Bord! Oder meint ihr, daß ich den ganzen Tag die Leiter rauf- und runterklettere mit meinem halben Bein?« Der Kopf verschwand ebenso plötzlich, wie er aufgetaucht war. Mit einem gutmütigen Achselzucken winkte Picard einem jungen Seemann, mit nach unten zu kommen.
    Nun wurden unter Deck ein Stimmengewirr und ein Gepolter laut, und ein grauenhafter Gestank drang zu uns herauf.
    »Himmel!« Hastig zog ich ein Taschentuch aus meiner Tasche und drückte es mir an die Nase. Dies war nicht das erste Mal, daß ich an Bord von einem üblen Geruch belästigt wurde, und so trug ich vorsichtshalber stets ein mit Wintergrün getränktes Tuch bei mir. »Was ist denn das?«
    »Dem Gestank nach zu urteilen ein totes Pferd. Ein schon ziemlich lange totes Pferd.« Jamie rümpfte seine lange Nase, und die herumstehenden Seeleute rissen Witze, hielten sich die Nase zu und bekundeten ihren Abscheu vor dem Geruch.
    Picard und der andere Matrose hievten mit abgewandtem Gesicht ein großes Faß mit verdorbenem Pferdefleisch durch die Luke herauf, hoben es über die Reling und warfen es ins Wasser.
    Diejenigen unter den Matrosen, die gerade nichts zu tun hatten, beobachteten, wie das Faß hinter uns auf den Wellen tanzte, und ergötzten sich an Murphys gotteslästerlichen Verwünschungen an die Adresse des Schiffsausrüsters, der ihm das Faß angedreht hatte. Manzetti, ein kleiner italienischer Seemann mit einem dicken, rotbraunen Zopf, stand an der Reling und lud eine Muskete.
    »Hai«, erklärte er, als er sah, daß ich ihn beobachtete, und seine Zähne leuchteten unter seinem Schnurrbart. »Gut zum Essen.«
    »Brm«, äußerte sich Sturgis lobend.
    Ich wußte, daß Haie uns begleiteten. Maitland hatte mir am Abend zuvor zwei dunkle Gestalten gezeigt, die im Schatten des Schiffsrumpfes neben uns her schwammen.
    »Dort!« riefen mehrere Männer gleichzeitig, als das Faß im Wasser plötzlich eine ruckartige Bewegung machte. Manzetti zielte sorgfältig auf einen Punkt neben dem treibenden Faß.
    Das graue Wasser war so klar, daß ich sah, wie sich unter der Oberfläche etwas bewegte. Wieder folgte ein Stoß, das Faß legte sich auf die Seite, und plötzlich tauchte ein grauer Rücken mit einer spitzen Flosse aus dem Wasser auf.

    Die Muskete neben mir gab einen donnernden Schuß ab, und mir stieg beißender

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