Ferne Ufer
Gefängnis. Das hab’ ich nicht gewußt.« Ich sah den Inhalt meines Medizinkastens durch und fragte mich, ob ein gewöhnliches Schmerzmittel wie Weidenrindentee oder Andorn mit Fenchel bei Phantomschmerzen half.
»O ja.« Innes legte allmählich seine Schüchternheit ab und sprach unbefangener mit mir. »Inzwischen wäre ich bestimmt schon verhungert, wenn Mac Dubh mich nicht gesucht hätte, als er selbst freigelassen wurde.«
»Er hat Sie gesucht?« Aus dem Augenwinkel erspähte ich einen blauen Schatten und winkte Mr. Willoughby herbei, der gerade vorbeikam.
»Aye. Als er von seinem Ehrenwort entbunden wurde, hat er nachgeforscht, ob welche von den Männern, die nach Amerika verschleppt worden waren, zurückgekommen sind.« Er zuckte die Achseln. »Aber in Schottland war keiner außer mir.«
»Aha. Mr. Willoughby, haben Sie eine Ahnung, was man da machen kann?« Mit einer Geste forderte ich den Chinesen auf, sich Innes anzusehen, und erklärte das Problem. Erfreut hörte ich, daß er sich tatsächlich mit solchen Dingen auskannte. Wir zogen Innes wieder einmal das Hemd aus, und ich beobachtete, wie Mr. Willoughby auf bestimmte Punkte an Nacken und Oberkörper drückte. Dabei machte ich mir Notizen, und er erklärte, so gut er konnte, was er tat.
»Arm ist in Geisterwelt«, sagte er. »Körper nicht, ist hier in oberer Welt. Arm versucht wiederkommen, weil er nicht von Körper getrennt sein will. Dieses - An-mo - Druck-Druck -, dann hört Schmerz auf. Aber wir sagen auch dem Arm, er soll nicht wiederkommen.«
»Und wie machen Sie das?« Innes wurde allmählich neugierig. Die meisten Seeleute hätten Mr. Willoughby nicht an sich herangelassen, da sie ihn für einen unreinen, zutiefst abartigen Heiden hielten, aber Innes hatte die letzten zwei Jahre mit ihm zusammengearbeitet.
Mr. Willoughby schüttelte den Kopf, da ihm die Worte fehlten, und wühlte in meinem Medizinkasten. Er holte eine Flasche mit getrockneten Pfefferkörnern heraus, nahm sich eine Handvoll und gab sie in eine kleine Schüssel.
»Haben Feuer?« erkundigte er sich. Ich hatte Feuerstein und Stahl zur Hand, und damit konnte er einen Funken schlagen, der die Körner in Brand setzte. Ein stechender Geruch erfüllte die Kajüte, und wir beobachteten gemeinsam, wie eine kleine, weiße Wolke aus der Schüssel aufstieg.
»Schicke Rauch von fan jiao -Boten in Geisterwelt, sprechen Arm«, erklärte Mr. Willoughby. Er füllte seine Lungen und pustete die Backen auf wie ein Kugelfisch, dann blies er kräftig auf die Wolke, so daß sie zerstob. Ohne innezuhalten, drehte er sich um und spuckte auf Innes’ Stumpf.
»Ho, du heidnischer Mistkerl!« rief Innes wutentbrannt. »Was fällt dir ein, mich anzuspucken?«
»Spucke auf Geist«, erklärte Mr. Willoughby und bewegte sich seitwärts in Richtung Tür. »Geist Angst vor Spucke. Jetzt kommt er nicht wieder.«
Beschwichtigend legte ich meine Hand auf Innes’ gesunden Arm.
»Tut Ihr verlorener Arm jetzt weh?« fragte ich.
Sein Zorn verflog, als er darüber nachdachte.
»Hm… nein«, gab er zu. Doch dann blickte er Mr. Willoughby finster an. »Aber das heißt nicht, daß du mich anspucken darfst, wenn dir der Sinn danach steht, du Winzwurm!«
»O nein«, erwiderte Mr. Willoughby gelassen. »Ich spucke nicht. Du selber spucken. Selber Geist angst machen.«
Innes kratzte sich am Kopf und wußte nicht, ob er lachen oder wütend werden sollte.
»Verdammt soll ich sein«, sagte er schließlich. Er schüttelte den Kopf, nahm sein Hemd und zog es über. »Aber das nächstemal werde ich doch lieber Ihren Tee versuchen, Mistress Fraser.«
44
Naturgewalten
»Ich bin ein Narr«, sagte Jamie. Mit trübseliger Miene beobachtete er Fergus und Marsali, die ins Gespräch vertieft an der Reling am anderen Ende des Schiffes lehnten.
»Warum?« fragte ich, obwohl ich es mir ganz gut vorstellen konnte. Die Tatsache, daß die beiden Ehepaare an Bord freiwillig Enthaltsamkeit übten, fand die ganze Besatzung, die ja unfreiwillig im Zölibat lebte, insgeheim ziemlich belustigend.
»Zwanzig Jahre lang habe ich mich danach gesehnt, dich in meinem Bett zu haben«, bestätigte er meine Vermutung. »Und kaum bist du wieder da, richte ich es so ein, daß ich dich nicht einmal küssen kann, ohne mich hinter einen Lukendeckel verkriechen zu müssen. Und selbst dann kann es passieren, daß Fergus uns ertappt und mir einen scheelen Blick zuwirft, der kleine Bastard! Und kein anderer ist schuld als ich alter Esel. Was
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