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Ferne Ufer

Titel: Ferne Ufer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana Gabaldon
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zurück zwischen die Bücherstapel, Tagebücher und handgeschriebenen Notizzettel. Sie lächelte Roger schief an und rieb sich die Hände.
    »Warum sind Sie Historiker geworden?«
    »Also, ehrlich gesagt, deshalb.« Roger lehnte sich zurück und wies auf die Bücher und den ganzen Krimskrams im Raum. Dann klopfte er auf die zierliche Messinguhr auf dem Schreibtisch, ein kostbares Stück aus dem achtzehnten Jahrhundert.
    »Ich bin zwischen all dem aufgewachsen. Und seit ich denken kann, bin ich mit meinem Vater auf der Suche nach Fundstücken durchs Hochland gestreift. Da war es für mich das Natürlichste der Welt. Aber bei Ihnen…?«
    Claire streckte sich und bewegte die Schultern, um sie nach den langen Stunden am Schreibtisch zu lockern. Brianna, die kaum noch die Augen hatte offenhalten können, war schon vor einer Stunde zu Bett gegangen. Claire und Roger jedoch hatten mit ihrer Suche weitermachen wollen.
    »Bei mir war es nicht viel anders«, erwiderte Claire. »Aber nicht so, daß ich mich entschloß, jetzt werde ich Ärztin. Vielmehr stellte ich eines Tages fest, daß ich lange Zeit als Ärztin gearbeitet hatte, und plötzlich ging es nicht mehr. Es hat mir gefehlt.«
    Sie verfiel in nachdenkliches Schweigen. »Ich hatte so viel gesehen«, fuhr sie dann leise fort. »Die Schlachtfelder von Caen und Amiens, von Preston und Falkirk, das Hôpital des Anges und den Krankenraum auf der Burg Leoch. Und ich hatte als Ärztin gearbeitet, mit allem, was dazugehört - hatte Babys auf die Welt geholfen, Knochen geschient, Wunden genäht, Fieber bekämpft…«
Sie verstummte und zuckte die Achseln. »Und doch gab es so vieles, was ich nicht wußte, und um es zu lernen, ging ich auf die Universität. Aber eigentlich hat sich dadurch nicht viel geändert.« Sie stupste mit dem Finger in die Sahnehaube auf ihrem Kakao und leckte den Rahm ab. »Zwar habe ich jetzt mein Examen und einen Titel - aber Ärztin war ich, lange bevor ich die Universität betreten habe.«
    »Sicher war es nicht so einfach, wie Sie es jetzt darstellen.« Roger musterte Claire mit unverhohlener Neugier. »Damals gab es noch nicht viele Frauen, die Medizin studierten, und außerdem hatten Sie eine Familie.«
    »Nein, daß es leicht war, kann man nicht behaupten.« Claire sah ihn mit einem undefinierbaren Ausdruck an. »Natürlich habe ich gewartet, bis Brianna in die Schule kam und wir genügend Geld hatten, um uns eine Zugehfrau leisten zu können.« Sie zuckte die Achseln und lächelte ironisch. »Ich habe ein paar Jahre nicht mehr viel geschlafen. Das hat geholfen. Und Frank hat mir seltsamerweise auch geholfen.«
    »Wirklich?« fragte er ungläubig. »Nach allem, was Sie mir von ihm erzählt haben, hatte ich nicht den Eindruck, daß er es begrüßte, als Sie Medizin studieren wollten.«
    »Hat er auch nicht.« Daß sie die Lippen zusammenpreßte, sagte Roger mehr als alle Worte - offensichtlich dachte sie an Auseinandersetzungen, an fruchtlos abgebrochene Gespräche, an trotzigen Widerstand und trickreiche Behinderung statt offener Proteste.
    Welch ausdrucksvolles Gesicht sie hat, dachte Roger. Er fragte sich, ob man in seinem genauso deutlich lesen konnte wie in ihrem. Diese Vorstellung war ihm so unangenehm, daß er den Kopf rasch über die Kakaotasse beugte und trank.
    Als er wieder aufblickte, merkte er, daß Claire ihn mit einem mokanten Lächeln musterte.
    »Und was«, fragte er, um sie abzulenken, »hat ihn dazu gebracht, seine Meinung zu ändern?«
    »Brianna«, erwiderte sie, und wie immer, wenn sie von ihrer Tochter sprach, wurde ihr Gesicht weich. »Brianna. Sie war die einzige, die Frank wirklich etwas bedeutete.«

     
    Ich wartete, bis Brianna zur Schule kam, ehe ich mein Studium begann. Aber ich hatte weitaus mehr Unterrichtsstunden als sie, Stunden, die wir wahllos mit mehr oder weniger fähigen Haushälterinnen und Babysittern überbrückten.
    Ich dachte an jenen unglückseligen Tag, als mich im Krankenhaus der Anruf erreichte, Brianna sei verletzt. Ohne den grünen OP-Anzug auszuziehen, stürzte ich nach draußen und raste unter Mißachtung aller Geschwindigkeitsbegrenzungen nach Hause. Dort erwarteten mich ein Polizeiauto und ein Krankenwagen mit flackernden Alarmlichtern und ein ganzer Pulk neugieriger Nachbarn.
    Wie sich s päter herausstellte, war die letzte Babysitterin in ihrem Ärger, daß ich schon wieder zu lange ausblieb, einfach aufgebrochen. Die siebenjährige Brianna hatte etwa eine Stunde lang gewartet, bekam dann

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