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Ferne Ufer

Titel: Ferne Ufer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana Gabaldon
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bist doch dagegen, daß die Angestellten ihre Kinder zur Arbeit mitbringen.«
    Er zuckte die Achseln und wand sich ein bißchen.
    »Nun, wenn sich die Umstände ändern, muß man eben umdenken. Außerdem glaube ich nicht, daß Brianna kreischend durch die Flure rennt und Tinte verschmiert.«
    »Da wäre ich mir nicht so sicher«, entgegnete ich trocken. »Aber willst du das wirklich tun?« In meinem Magen, der sich eben noch zusammengekrampft hatte, breitete sich allmählich ein zartes, warmes Gefühl aus, eine vorsichtige, ungläubige Erleichterung. Zwar brauchte ich nicht darauf zu bauen, daß Frank mir treu war - er war es nicht, wie ich wußte -, doch daß er gut für Brianna sorgen würde, darauf konnte ich mich verlassen.
    Plötzlich lösten sich all meine Probleme in Wohlgefallen auf. Ich mußte nicht mehr vom Krankenhaus nach Hause hetzen, weil ich schon wieder spät dran war, mußte nicht mehr befürchten, daß sich Brianna schmollend in ihrem Zimmer verkrochen hatte, weil sie die Babysitterin nicht mochte. Sie liebte Frank, und sie würde begeistert sein, wenn sie hörte, daß sie jeden Tag zu ihm in die Universität gehen durfte.

    »Warum tust du das?« fragte ich unverblümt. »Ich weiß, daß du es nicht gern siehst, wenn ich Ärztin werde.«
    »Stimmt«, erwiderte er. »Aber mir ist klar, daß du dich durch nichts aufhalten läßt. Und deshalb scheint es mir besser, wenn ich dir helfe - damit Brianna nicht darunter leidet.« Sein Gesicht wurde hart bei diesen Worten. Dann wandte er sich ab.
     
    »Wenn Frank irgendeine Bestimmung hatte, dann war es wohl die, für Brianna zu sorgen«, sagte Claire. Gedankenversunken rührte sie in ihrer Schokolade.
    »Warum interessiert Sie das, Roger?« fragte sie plötzlich. »Warum wollen Sie das wissen?«
    Er überlegte lange, bevor er antwortete. »Wahrscheinlich weil ich Historiker bin.« Er sah Claire über seine Tasse hinweg an. »Ich finde keine Ruhe, bevor ich nicht weiß, was die Leute getan haben und warum.«
    »Und Sie glauben, ich könnte Ihnen das sagen?« Sie fixierte ihn scharf. »Sie glauben, ich weiß, warum?«
    Er nickte. »Ja, zumindest besser als die anderen. Denn die meisten Quellen eines Historikers haben nicht diese…« - er grinste sie an - »einzigartige Perspektive.«
    Plötzlich war die Spannung gebrochen. Claire lachte und stellte ihre Tasse ab. »Ja, so könnte man es ausdrücken.«
    »Und außerdem«, fuhr er fort, während er sie aufmerksam beobachtete, »sind Sie ehrlich. Ich glaube, selbst wenn Sie wollten, könnten Sie nicht lügen.«
    Sie warf ihm einen scharfen Blick zu und lachte kurz und trocken auf.
    »Mein Junge, jeder kann lügen, wenn es nötig ist. Sogar ich. Nur fällt es Leuten mit durchsichtigen Gesichtszügen schwerer als anderen. Wir müssen uns vorher gut überlegen, was wir sagen.«
    Claire senkte den Kopf und blätterte langsam in den Papieren, die vor ihr lagen. Sie waren voller Namen, Listen der Insassen englischer Gefängnisse. Erschwert wurde ihre Suche durch den Umstand, daß nicht alle Anstalten ihre Unterlagen ordentlich geführt hatten.
    Einige Gefängnisdirektoren hatten ihre Insassen völlig willkürlich mitten zwischen den täglichen Ausgaben und Einkäufen aufgelistet
und keinen großen Unterschied gemacht, ob nun ein Gefangener gestorben war oder man zwei Bullen zum Pökeln geschlachtet hatte.
    Roger glaubte schon, Claire habe mit dem Gespräch abgeschlossen, doch einen Moment später sah sie auf.
    »Trotzdem, Sie haben recht«, sagte sie. »Ich bin wirklich ehrlich - aber das ist eher ein Fehler. Mir fällt es schwer zu verschweigen, was ich denke. Wahrscheinlich erkennen Sie das so deutlich, weil Sie ähnlich sind.«
    »Bin ich das?« Seltsamerweise freute Roger sich über diese Bemerkung, als hätte er unerwartet ein Geschenk bekommen.
    Claire nickte. Ein leises Lächeln umspielte ihre Lippen.
    »O ja. Eindeutig. Es gibt nicht viele Menschen, die die Wahrheit über sich und das, was sie beschäftigt, unverhüllt aussprechen. Ich habe erst drei kennengelernt - und jetzt sind es wohl vier.« Ihr Lächeln wurde wärmer.
    »Einer war natürlich Jamie. Außerdem Maître Raymond, der Apotheker aus Paris. Dann Joe Abernathy, ein Freund, den ich während des Studiums kennengelernt habe. Und jetzt Sie. Glaube ich wenigstens.«
    Nachdem sie den letzten Rest aus ihrer Tasse getrunken hatte, sah sie Roger in die Augen.
    »Aber Frank hatte in gewissem Sinne recht. Man hat es nicht unbedingt leichter, wenn man

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