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Ferne Ufer

Titel: Ferne Ufer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana Gabaldon
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Säuglinge in den Armen.«
    Mir wurde plötzlich kalt bei ihren Worten. Ich sah die Bewohner von Lallybroch vor mir - Menschen, die ich gekannt und geliebt hatte -, wie sie sich vor Hunger wanden und vor Kälte zitterten. Aber ich empfand nicht nur Entsetzen, sondern auch Scham. Ich hatte mich in Sicherheit gebracht, hatte es warm und gemütlich gehabt, anstatt ihr Schicksal zu teilen - auf Jamies Wunsch hin. Doch dann fiel mein Blick auf Briannas weiche rote Mähne, und meine Schuldgefühle schwanden. Sie war in Sicherheit und Geborgenheit aufgewachsen - weil Jamie es so gewollt hatte.
    »Da hat diese Braunkappe also einen kühnen Plan entwickelt«, fuhr Fiona fort. Ihr Gesicht leuchtete vor Begeisterung bei der dramatischen Geschichte. »Er hat es so gedeichselt, daß einer seiner Pächter zu den Engländern ging und ihn verriet. Weil er so tapfer für den Bonnie Prince gekämpft hatte, war auf seinen Kopf ein stolzer Preis ausgesetzt. Der Pächter sollte die Belohnung annehmen - die natürlich für die Bewohner des Guts gedacht war - und den Engländern erzählen, wo sie die Braunkappe festnehmen konnten.«
    Meine Hände zuckten so heftig, daß der Henkel meiner zarten Teetasse plötzlich abbrach.
    »Festnehmen?« krächzte ich, heiser vor Schreck. »Wurde er gehängt?«
    Fiona blinzelte mich verwundert an. »Aber nein«, erklärte sie beruhigend. »Das hatte man zwar vor, wie mir meine Großmutter erzählte, und man machte ihm den Prozeß wegen Hochverrats, aber schließlich sperrte man ihn lediglich ins Gefängnis. Und mit der Belohnung konnten seine Pächter die Hungersnot überleben«, schloß sie fröhlich. In ihren Augen offensichtlich ein Happy-End.

    »Herr im Himmel«, flüsterte Roger. Vorsichtig setzte er seine Tasse ab und starrte ins Leere. »Ins Gefängnis!«
    »Das klingt, als fändest du das gut«, beschwerte sich Brianna. Sie hatte die Mundwinkel herabgezogen, und ihre Augen glänzten feucht.
    »Das ist es auch«, entgegnete Roger, dem ihr Kummer nicht weiter auffiel. »Es gab nämlich nicht viele Gefängnisse, in denen die Engländer jakobitische Verräter unterbrachten, und sie alle haben offiziell Buch geführt. Begreift ihr denn nicht?« Er blickte verständnisheischend in die Runde. »Wenn er im Gefängnis war, kann ich ihn finden.« Dann betrachtete er die Bücherregale, die drei Wände des Studierzimmers säumten und in denen die gesammelte jakobitische Literatur des verstorbenen Reverends stand.
    »Irgendwo da drinnen ist er«, flüsterte Roger. »Auf einer Gefangenenliste. Auf einem Dokument und damit ein Faktum. Verstehen Sie?« fragte er noch einmal, an mich gewandt. »Indem er ins Gefängnis ging, wurde er Teil der geschriebenen Geschichte. Und irgendwo da drinnen werden wir ihn finden!«
    »Und erfahren, was geschah«, flüsterte Brianna, »als er freigelassen wurde.«
    Roger preßte die Lippen zusammen. Wahrscheinlich wollte er nicht aussprechen, was auch mir in diesem Augenblick durch den Kopf schoß. »…wenn er nicht gestorben ist.«
    »Ja, genau«, sagte er statt dessen und nahm Briannas Hand. Mich traf ein unergründlicher Blick aus seinen tiefgrünen Augen. »Als er freigelassen wurde.«
     
    Eine Woche später war Rogers Vertrauen in die Dokumente immer noch ungebrochen. Von Reverend Wakefields Tischchen aus dem achtzehnten Jahrhundert ließ sich das nicht so ohne weiteres behaupten: Bedenklich knackten und ächzten seine zarten Beinchen unter der ungewohnten Last. Eigentlich dazu geschaffen, nicht mehr als eine Tischlampe und ein paar kleinere Artefakte des Reverends zu tragen, wurde es jetzt über alle Maßen beansprucht, denn wie auf jeder waagerechten Fläche im Studierzimmer stapelten sich auch auf ihm Papiere, Zeitschriften, Bücher und prallvolle Umschläge von historischen Gesellschaften und Forschungsbibliotheken aus ganz England, Schottland und Irland.

    »Wentworth habe ich durchgearbeitet«, sagte Claire. Sie wies mit der Fußspitze auf einen Stapel, der neben ihr auf dem Boden lag. »Haben wir die Unterlagen über Berwick schon bekommen?«
    »Ja, heute morgen. Aber wo habe ich sie gelassen?« Roger ließ den Blick durch das Zimmer schweifen, das starke Assoziationen an die Plünderung der Bibliothek von Alexandria wachrief, kurz bevor sie angezündet wurde. Er rieb sich über die Stirn und versuchte, sich zu konzentrieren. Da er in der letzten Woche zehn Stunden täglich die handgeschriebenen Akten britischer Gefängnisse und die Briefe, Berichtshefte und

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