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Ferne Ufer

Titel: Ferne Ufer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana Gabaldon
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Tagebücher ihrer Direktoren durchgelesen hatte, um einen Hinweis auf Jamie Fraser zu finden, waren seine Augenränder so rot, als wären sie mit Schmirgelpapier bearbeitet worden.
    »Der Umschlag war blau«, sagte er schließlich. »Soviel weiß ich noch. Er stammt von McAllister, dem Geschichtsdozenten des Trinity College, und das College benutzt große, blaue Umschläge. Vielleicht weiß Fiona, wo er ist. Fiona!«
    Er ging zur Tür. Trotz der späten Stunde brannte in der Küche noch Licht, und im Flur duftete es köstlich nach heißer Schokolade und Mandelkuchen. Fiona verließ ihren Posten immer erst dann, wenn sie absolut sicher war, daß niemand in der Umgebung noch der Speisung bedurfte.
    »Ja! Was gibt’s?« Fiona steckte ihren braunen Wuschelkopf aus der Küchentür. »Die Schokolade wird gleich serviert«, versicherte sie Roger. »Ich warte nur noch darauf, daß ich den Kuchen aus dem Ofen nehmen kann.«
    Roger lächelte sie warm an. Zwar konnte Fiona mit Geschichte nichts anfangen, doch an der Richtigkeit seines Tuns hegte sie nicht den geringsten Zweifel. Geduldig staubte sie täglich die unzähligen Bücherstapel ab, ohne sich den Kopf darüber zu zerbrechen, was sie wohl enthalten mochten.
    »Danke, Fiona«, sagte er. »Haben Sie einen großen, blauen Umschlag gesehen? Er muß heute morgen mit der Post gekommen sein, aber ich weiß nicht mehr, wo ich ihn hingelegt habe.«
    »Er ist oben im Bad«, antwortete sie ohne weiteres Nachdenken. »Zusammen mit einem dicken Buch mit Goldbuchstaben und einem Bild von Bonnie Prince auf der Titelseite und drei Briefen, die Sie schon aufgerissen haben. Außerdem die Gasrechnung, die
Sie sicher nicht vergessen möchten - am vierzehnten ist sie fällig. Ich habe alles auf den Durchlauferhitzer gelegt, damit man nicht darüber stolpert.« Dann klingelte die Eieruhr, und mit einem kurzen Ausruf zog sie sich in die Küche zurück.
    Roger lächelte und stürmte die Treppe hoch. Mit den entsprechenden Neigungen wäre aus Fiona mit ihrem guten Gedächtnis die ideale Wissenschaftlerin geworden. Doch so gab sie zumindest eine hervorragende Assistentin ab. Solange man ein bestimmtes Dokument oder Buch nach seinem Aussehen beschreiben konnte, wußte Fiona stets, wo es zu finden war.
    »Ach, das macht nichts«, hatte sie Roger abwinkend gesagt, als er sich bei ihr für die Unordnung entschuldigte, die er im Haus anrichtete. »Bei all den Papieren, die herumliegen, könnte man fast meinen, der Reverend wäre noch am Leben. Es ist wieder wie früher.«
    Während Roger mit dem Umschlag nach unten ging, fragte er sich, was sein verstorbener Adoptivvater von seinen jetzigen Forschungen gehalten hätte.
    »Sich bis zur Nasenspitze darin vergraben, vermutlich«, murmelte Roger. Vor seinem inneren Auge stieg das Bild auf, wie der Reverend, der kahle Schädel im Schein der altmodischen Bogenlampe im Flur schimmernd, von seinem Studierzimmer in die Küche schlurfte, wo Mrs. Graham, Fionas Großmutter, am Herd stand, um auch zu nächtlicher Stunde für das leibliche Wohl des alten Mannes zu sorgen - so wie Fiona jetzt für seins.
    Eigenartig, dachte er, als er ins Studierzimmer ging. Früher war der Sohn in die Fußstapfen des Vaters getreten - hatte das schlichtweg praktische Gründe, oder wurden Talent und Neigung für einen bestimmten Beruf weitervererbt? Wurden manche dazu geboren, Schmied, Kaufmann oder Koch zu werden - bekamen sie neben dem Familienunternehmen auch Talent und Neigung mit auf den Weg?
    Doch eigentlich ging es ihm eher um Brianna, wie er sich gleich darauf eingestand. Wenn er zusah, wie Claire den haselnußbraunen Kopf mit dem Lockengewirr über den Schreibtisch beugte, konnte er sich lebhaft vorstellen, daß Brianna ihr später einmal ähneln würde. Oder geriet sie mehr nach ihrem Vater, dieser Schattengestalt - einem schottischen Krieger, Bauern, Höfling und Gutsherrn?

    Er hing noch immer dieser Frage nach, als Claire eine Viertelstunde später den letzten Hefter auf ihrem Stapel schloß und sich aufseufzend zurücklehnte.
    »Woran denken Sie?« erkundigte sie sich, während sie nach ihrer Tasse griff.
    »An nichts Wichtiges«, erwiderte Roger, aufgeschreckt aus seinen Gedanken. »Ich habe mich nur gefragt, warum sich die Leute für einen bestimmten Beruf entscheiden. Warum sind Sie zum Beispiel Ärztin geworden?«
    »Warum?« Claire atmete den Dampf ein, der aus ihrer Kakaotasse aufstieg. Dann entschied sie, daß das Getränk zu heiß war, und stellte die Tasse

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