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Ferne Ufer

Titel: Ferne Ufer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana Gabaldon
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zurückgekehrt.«
    Der Reverend musterte mich skeptisch, aber ich trug wirklich mein Reitkostüm - wenn auch nur deshalb, weil ich außer der violetten Ballrobe und zwei Musselinkleidern nichts Vorzeigbares mehr anzuziehen besaß. Also erhob er keinen Einwand.
    »Verstehe«, sagte er. »Mmmpf. Nun denn.« Unruhig verknotete er die breiten, knochigen Hände, als wüßte er nichts mit ihnen anzufangen.
    »Lassen Sie sich von mir nicht stören.« Ich versuchte es mit einem bezaubernden Lächeln und wies mit dem Kopf auf den Sekretär. »Sicher haben Sie etwas Wichtiges zu erledigen.«
    Er schürzte erneut die Lippen. »Meine Arbeit ist schon beendet. Ich habe nur gerade die Kopien von Dokumenten angefertigt, um die Mrs. Abernathy mich gebeten hat.«
    »Wie interessant«, bemerkte ich geistesabwesend, während ich mich innerlich glücklich pries, daß ich ihm nach ein paar Höflichkeitsfloskeln mit der Ausrede entkommen konnte, mich in mein vorgebliches Zimmer zurückziehen zu wollen. Da alle Zimmer im
Erdgeschoß auf die Veranda hinausgingen, wäre es mir dann ein leichtes, mich davonzustehlen und auf die Suche nach Jamie zu machen.
    »Teilen Sie nicht auch das Interesse unserer Gastgeberin für schottische Geschichte?« Sein Blick wurde schärfer, und leicht verstört entdeckte ich in seinen Augen das fanatische Glitzern des begeisterten Forschers. Das kannte ich nur allzu gut.
    »Ja, gewiß. Wirklich sehr interessant.« Gleichzeitig bewegte ich mich vorsichtig auf die Tür zu. »Aber ich muß gestehen, ich weiß nicht besonders viel über -« Mit einem Schlag verstummte ich, denn mein Blick war auf das oberste Dokument gefallen.
    Es war eine Ahnentafel. Als ich noch mit Frank zusammenlebte, hatte ich viele derartige Aufstellungen gesehen, doch diese erkannte ich auf Anhieb - es war der Stammbaum der Familie Fraser, sichtbar allein schon an der Überschrift des verflixten Papiers: Fraser von Lovat. Sie begann irgendwann um 1400 und setzte sich bis zu Jamies Zeitgenossen fort. Ich las den Namen Simon, des jakobitischen Burgherrn von Lovat, der für seine Rolle bei Charles Stuarts Aufstand hingerichtet - und nicht unbedingt betrauert - worden war, darunter die seiner mir nur allzu gut bekannten Sprößlinge. In einer Ecke, mit einem Zeichen, das auf uneheliche Geburt hindeutete, der Name Brian Fraser - Jamies Vater. Unten auf dem Bogen stand in sauberen, schwarzen Buchstaben: Jamie Fraser.
    Ich merkte, wie mir eine Gänsehaut über den Rücken kroch. Der Reverend betrachtete mich zufrieden.
    »Ist es nicht erstaunlich? Ausgerechnet die Frasers trifft es!«
    »Wie… Was soll die Frasers treffen?« fragte ich. Als wäre ich magisch davon angezogen, trat ich auf den Sekretär zu.
    »Nun, die Weissagungen«, erklärte er mir leicht verwundert. »Kennen Sie die nicht? Vielleicht liegt es daran, daß Ihr Mann aus der illegitimen Linie…«
    »Nein, ich kenne keine Weissagungen.«
    »Ach?« Der Reverend gewann zunehmend Gefallen an seiner Rolle und ergriff die Gelegenheit, mich in die Geheimnisse um die Frasers einzuweihen. »Ich dachte, Mrs. Abernathy hätte Ihnen bereits davon erzählt. Schließlich hat sie dieses Thema so in seinen Bann gezogen, daß sie mir deswegen sogar nach Edinburgh
schrieb.« Er blätterte in dem Stapel und zog einen gälisch beschriebenen Bogen hervor.
    »Dies ist der ursprüngliche Wortlaut der Weissagung«, erklärte er. »Sie stammt von Brahan Seer. Sicher haben Sie schon von ihm gehört.« Seinem Ton nach zu urteilen, hielt er das für ausgeschlossen, doch der Seher, den man auch als den Nostradamus Schottlands bezeichnete, war mir nicht unbekannt.
    »Ja, ich kenne ihn. Und diese Weissagung betrifft die Frasers?«
    »Aye, die Frasers von Lovat. Zwar ist sie in sehr blumiger Sprache abgefaßt, aber über ihre Bedeutung besteht kein Zweifel. Das habe ich auch Mrs. Abernathy erklärt.« Er redete sich immer mehr in Begeisterung. »In der Weissagung heißt es, daß der neue Herrscher über Schottland dem Geschlecht der Lovats entspringen wird. Geschehen soll dies nach dem Untergang der ›Könige der weißen Rose‹ - natürlich eine Anspielung auf die katholischen Stuarts. Sicher, einige Hinweise sind eher kryptisch, zum Beispiel wann dieser Herrscher in Erscheinung tritt, oder ob es sich um einen König oder eine Königin handelt - all das läßt sich nicht so leicht deuten, besonders wenn man den schlechten Zustand des Originals betrachtet…«
    Er redete weiter, aber ich hörte ihm nicht mehr zu.

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