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Ferne Ufer

Titel: Ferne Ufer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana Gabaldon
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Allmählich war ich mir sicher, wohin Geillis sich gewandt hatte. Sie hatte sich voll und ganz der schottischen Sache verschrieben und sich fast zehn Jahre lang der Aufgabe gewidmet, den Stuarts zum Thron zu verhelfen. Mit der Schlacht von Culloden war dieser Versuch jedoch gescheitert, und für die überlebenden Stuarts hatte sie nur noch Verachtung übrig. Kein Wunder, wenn sie zu wissen glaubte, wer als nächster an der Reihe war.
    Aber wohin wollte sie sich wenden? Zurück nach Schottland, um Lovats Erben zur Seite zu stehen? Nein, sie hatte vor, die Zeitschranke abermals zu überwinden, das war in unserem Gespräch klargeworden. Sie war dabei, die Vorbereitungen zu treffen, die notwendigen Dinge zusammenzutragen und ihre Forschungen abzuschließen.
    Mit einer Mischung aus Faszination und Schrecken betrachtete ich den Bogen. Die Ahnentafel der Frasers endete natürlich mit Jamies Zeitgenossen. Wußte Geillis bereits, wie Lovats Nachfahren in der Zukunft heißen würden?

    Ich blickte auf, um Reverend Campbell eine Frage zu stellen, doch die Worte blieben mir im Halse stecken. In der Tür stand Mr. Willoughby.
    Offensichtlich hatte der kleine Chinese harte Zeiten hinter sich. Sein Seidenpyjama war voller Flecken und Löcher, und in seinem früher so runden Gesicht zeigten sich die Spuren von Hunger und Erschöpfung. Mit einem kurzen Flackern des Erkennens streifte mich sein Blick, dann richtete er sich auf den Reverend.
    »Heiliger Mann«, sagte er. In seiner Stimme schwang ein häßlicher, höhnischer Unterton mit, den ich noch nie von ihm gehört hatte.
    Der Reverend wandte sich so hastig um, daß er mit dem Ellenbogen gegen eine Vase stieß. Gelbe Blüten fielen auf das Rosenholz des Sekretärs, und Wasser tropfte auf die Papiere. Wütend schrie der Reverend auf, griff nach den Dokumenten und schüttelte die Tropfen ab, bevor die Tinte verlaufen konnte.
    »Schau nur, was du angerichtet hast, du mörderischer Heide!«
    Mr. Willoughby lachte auf. Es klang nicht lustig.
    »Ich, ein Mörder?« Langsam und ohne den Reverend aus den Augen zu lassen, schüttelte er den Kopf. »Nicht ich, heiliger Mann. Du bist der Mörder.«
    »Scher dich fort!« entgegnete der Reverend kalt. »Was hast du im Haus einer Dame zu suchen?«
    »Ich kenne dich.« Der Chinese sprach leise, und er verzog keine Miene. »Ich sehe dich. Ich sehe dich im roten Zimmer mit der Frau, die lacht. Ich sehe dich auch bei den stinkenden Huren in Schottland.« Langsam hob er die Hand an den Hals und zog sie wie eine Klinge über die Kehle. »Ich glaube, du mordest sehr oft, heiliger Mann.«
    Der Reverend war kreidebleich geworden, ob vor Schrecken oder vor Wut, wußte ich nicht. Auch ich war blaß - und zitterte vor Angst. Ich befeuchtete mir die Lippen und zwang mich, etwas zu sagen.
    »Mr. Willoughby…«
    »Nicht Willoughby.« Unverwandt ruhte sein Blick auf dem Reverend. »Ich heiße Yi Tien Tschu.«
    Um nicht in Panik zu geraten, überlegte ich, ob die richtige Form der Anrede wohl Mr. Yi oder Mr. Tschu lautete.

    »Mach, daß du rauskommst!« Mit geballten Fäusten trat er auf den Chinesen zu. Mr. Willoughby rührte sich nicht von der Stelle. Der wutschnaubende Geistliche schien nicht den geringsten Eindruck auf ihn zu machen.
    »Besser, Sie gehen jetzt, erste Frau«, zischte er mir zu. »Der heilige Mann liebt die Frauen - aber nicht mit dem Schwanz. Mit dem Messer.«
    Mir wurde eng um die Brust, als würde man mir die Luft abschnüren. Keine Silbe brachte ich über die Lippen.
    »Unsinn!« entgegnete der Reverend scharf. »Noch einmal - raus hier! Oder ich -«
    »Bleiben Sie bitte, wo Sie sind, Reverend«, fiel ich ihm ins Wort. Mit zitternden Händen zog ich die Pistole hervor und legte sie auf ihn an. Zu meiner Überraschung tat er wie befohlen. Allerdings starrte er mich an, als wäre mir soeben ein zweiter Kopf gewachsen.
    Ich hatte noch nie zuvor jemanden mit einer Waffe bedroht. Es war seltsam berauschend, obwohl der Lauf bebte. Leider hatte ich jedoch keine Ahnung, wie es weitergehen sollte.
    »Mr. -?« Ich gab es auf und benutzte alle drei Namen. »Yi Tien Tschu, haben Sie den Reverend auf dem Empfang des Gouverneurs zusammen mit Mrs. Alcott gesehen?«
    »Ich sehe, wie er sie umbringt«, entgegnete Yi Tien Tschu. »Sie sollten jetzt schießen, erste Frau.«
    »Albernes Zeug! Liebe Mrs. Fraser, sicher glauben Sie kein Wort von dem, was dieser Wilde da sagt. Er selbst ist -« Der Reverend gab sich alle Mühe, überlegen zu wirken, aber die

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