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Ferne Ufer

Titel: Ferne Ufer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana Gabaldon
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seinem Hafen war. Die Straßen, soweit es welche gab, waren entweder grauenhaft oder seit der letzten Regenzeit vom Dschungel überwuchert.
    Als wir die breite Wasserstraße mühsam stromaufwärts segelten, kamen uns zwei kleinere Schiffe und ein Lastkahn entgegen. Bedrohlich wie ein schwarzer Eisberg zog der riesige, mit Kisten und Ballen beladene Kahn an uns vorbei, die Stimmen der Sklaven, die das Schiff steuerten und sich leise in einer fremden Sprache unterhielten, nur ein gedämpftes Gemurmel.
    »Wirklich freundlich von Ihnen, daß Sie mitkommen, Lorenz«, sagte Jamie. Wir saßen in einem kleinen, offenen Einmaster, der kaum ausreichend Platz für Jamie, die sechs schottischen Schmuggler, Stern und mich bot. Doch obwohl es reichlich eng war, freute ich mich, daß Stern sich uns angeschlossen hatte. Seine unerschütterliche Abgeklärtheit wirkte überaus beruhigend.
    »Ich gebe zu, daß ich neugierig bin«, entgegnete Stern, während er seinem Bauch mit dem Hemdzipfel Kühlung zufächelte. »Schließlich habe ich die Dame bereits kennengelernt.«
    »Mrs. Abernathy?« Ich überlegte. »Äh… welchen Eindruck hatten Sie von ihr?« fragte ich dann vorsichtig.
    »Oh… sie war äußerst charmant, ganz reizend.«
    Ich konnte sein Gesicht in der Dunkelheit nicht erkennen, aber da seine Stimme sowohl verlegen als auch erfreut klang, nahm ich an, daß er die Witwe Abernathy wirklich überaus anziehend gefunden
hatte. Woraus ich schloß, daß Geillis etwas von Lorenz wollte, denn gewöhnlich ließ sie bei einem Mann nur dann ihre Reize spielen, wenn sie ihn für ihre Zwecke brauchte.
    »Wo sind Sie ihr begegnet? Bei ihr zu Hause?« Nach dem, was ich von den Gästen auf dem Empfang des Gouverneurs gehört hatte, verließ Mrs. Abernathy ihre Plantage praktisch nie.
    »Ja, in Rose Hall. Ich habe sie aufgesucht, weil ich sie um die Erlaubnis bitten wollte, eine seltene Spezies von Käfern zu sammeln - von der Sorte der Cucurlionidae -, die ich an einer Quelle auf ihrem Grundstück entdeckt habe. Sie hat mich äußerst freundlich empfangen und bewirtet.« Diesmal schwang eindeutig Selbstzufriedenheit in seiner Stimme mit. Jamie, der neben mir saß und das Steuer bediente, schnaubte.
    »Was hat sie von Ihnen gewollt?« Offensichtlich war er zu den gleichen Schlußfolgerungen gelangt wie ich.
    »Oh, sie zeigte ein lebhaftes Interesse an Pflanzen und Tieren, die ich auf der Insel gesammelt habe, und erkundigte sich nach dem Standort verschiedener Kräuter. Außerdem fragte sie nach anderen Gegenden, die ich erforscht habe, insbesondere nach Hispaniola.« Bedauernd seufzte er auf. »Es fällt mir schwer zu glauben, daß eine so bezaubernde Frau solch schändliche Taten begangen haben soll, wie Sie sie beschreiben, James.«
    »Bezaubernd?« fragte Jamie trocken. »Sind Sie sicher, daß sie sich nicht ein wenig in sie verliebt haben, Lorenz?«
    Auch Stern schien zu lächeln, wie man an seinem Tonfall hörte. »Ich habe mich mal ausführlicher mit einer Sorte der fleischfressenden Fliege beschäftigt, mein Freund. Wenn das Auge des Männchens auf ein gewisses Weibchen gefallen ist, sucht es oft unter viel Mühen ein Stück Fleisch oder ein anderes Geschenk, das es dann sorgfältig in Seidenfäden einspinnt. Während das Weibchen damit beschäftigt ist, den Leckerbissen auszuwickeln, bespringt es das Männchen, vollzieht seine ehelichen Pflichten und ergreift gleich darauf die Flucht. Denn wenn das Weibchen das Mahl beendet hat, bevor er fertig ist, oder wenn das Geschenk nicht nach ihrem Geschmack ausfällt - dann verspeist sie das Männchen.« Leise hörte ich ihn im Dunkeln lachen. »Nein, das war eine faszinierende Begegnung, aber ich glaube nicht, daß ich Mrs. Abernathy noch einmal meine Aufwartung machen werde.«

    »Na, hoffentlich bleibt uns eine Begegnung erspart«, gab Jamie ihm recht.
     
    Die Männer wurden von der Dunkelheit verschluckt, und ich blieb allein am Flußufer zurück. Ich sollte das Boot bewachen, und Jamie hatte mir eingeschärft, meinen Platz unter keinen Umständen zu verlassen. Mit der strikten Anweisung, mir auch ja nicht in den Fuß zu schießen, hatte er mir außerdem eine geladene Pistole dagelassen. Tröstlich lag die schwere Waffe in meinen Händen, aber als sich die Minuten dahinschleppten, fand ich es immer bedrückender, einsam und allein in der Dunkelheit auszuharren.
    Von meinem Standpunkt aus konnte ich das Haus sehen, ein dunkles Rechteck mit drei erleuchteten Fenstern im Erdgeschoß: Dort

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