Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Ferne Ufer

Titel: Ferne Ufer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana Gabaldon
Vom Netzwerk:
zurückgehen lassen und statt dessen um ein Lammkotelett gebeten. Nach dieser ersten - mageren! - Mahlzeit hier werde ich mich nun niederlegen. Eine eingehende Beschreibung der Umgebung, die ich in der Dunkelheit bisher kaum gesehen habe, hebe ich mir für einen späteren Brief an Dich auf.
     
    Grey hielt inne und klopfte mit der Feder auf das Löschpapier. Der tintengetränkte Kiel hinterließ kleine Punkte, die er gedankenversunken zu einer Figur verband.
    Sollte er es wagen, nach George zu fragen? Nicht offen heraus, das ging nicht, aber er konnte sich nach der Familie erkundigen, fragen, ob seine Mutter vor kurzem mit Lady Everett zusammengetroffen war. Und sie bitten, ihn bei ihrem Sohn in Erinnerung zu bringen.
    Seufzend versah er die Zeichnung mit einem weiteren Punkt. Nein. Seine verwitwete Mutter war mit den Umständen nicht vertraut, und Lady Everetts Gatte bewegte sich in Militärkreisen. Der Einfluß seines Bruders würde dem Klatsch zwar mehr oder weniger Einhalt gebieten, aber es war nicht auszuschließen, daß Lord Everett doch etwas hörte und dann zwei und zwei zusammenzählte. Eine unkluge Bemerkung über George zu seiner Frau, die wiederum seiner Mutter davon erzählen würde… und die Gräfinwitwe war nicht dumm.
    Sie wußte nur zu gut, daß er in Ungnade gefallen war. Junge Offiziere, die sich des Wohlwollens ihrer Vorgesetzten erfreuten,
schickte man nicht in die hinterste Ecke Schottlands, um Ausbesserungsarbeiten an einer kleinen, unbedeutenden Gefängnisfestung zu überwachen. Doch sein Bruder Harold hatte ihr etwas von einer unglückseligen Liebesgeschichte erzählt und angedeutet, daß sie unschicklich war, um sie von weiteren Fragen abzuhalten. Vermutlich nahm sie an, man hätte ihn mit der Gattin des Oberst ertappt.
    Eine unglückselige Liebesgeschichte! Grimmig lächelnd tauchte er die Feder ein. Wenn Hal es so umschrieb, verfügte er möglicherweise über mehr Einfühlungsvermögen, als John vermutet hatte. Andererseits hatte sein ganzes Leben nach Hectors Tod in Culloden einen unglückseligen Verlauf genommen.
    Der Gedanke an Culloden rief in ihm die Erinnerung an Fraser wach, der er den ganzen Tag ausgewichen war. Er spürte, wie ihm das Blut in die Wangen stieg und Hitzeschauer ihn erfaßten, die nicht von dem nahen Feuer herrührten. Deshalb stand er auf, ging zum Fenster und sog die Luft bis in die Lungenspitzen, als könne er sich auf diese Weise von der Erinnerung befreien.
    »Entschuldigen Sie, Herr, aber möchten Sie Ihr Bett jetzt angewärmt haben?« Erschreckt drehte Grey sich um. Der zerzauste Schopf des Gefangenen, der ihm als Bursche zugewiesen war, erschien in der Tür, die zu Greys Privaträumen führte.
    »Oh! Ja, danke… MacDonell?« fragte er unsicher.
    »MacKay, Sir«, verbesserte ihn der Mann, offensichtlich nicht weiter gekränkt, und verschwand.
    Grey seufzte. Heute abend gab es nichts weiter zu tun.
    Er ging zum Schreibtisch zurück und nahm die Mappen, um sie wegzuräumen. Das Gebilde auf dem Löschblatt ähnelte einem der mit Dornen versehenen Streitkolben, mit denen die Ritter vergangener Jahrhunderte die Köpfe ihrer Gegner zerschmettert hatten. Ihm war, als hätte er einen davon verschluckt. Dabei lagen ihm vermutlich nur die halbgaren Lammkoteletts im Magen.
    Grey schüttelte den Kopf, zog den Brief zu sich heran und unterschrieb ihn hastig.
    In tiefer Zuneigung, Dein ergeb. Sohn John W. Grey. Er streute Sand über die Unterschrift, versiegelte den Brief und legte ihn zur Seite, um ihn am folgenden Morgen dem Boten zu übergeben.
    Dann stand er auf und ließ den Blick zögernd über die dunklen
Nischen seines Arbeitszimmers gleiten. Der große Raum war kalt und ungemütlich und bis auf den massiven Schreibtisch und zwei Stühle fast leer. Grey fröstelte. Die matt glimmernden Torfquader in der Feuerstelle gaben kaum Wärme ab.
    Erneut warf er einen Blick auf die Liste mit den Gefangenen. Dann bückte er sich, zog die untere Schublade seines Schreibtisches auf und nahm die braune Flasche heraus. Er drückte die Kerze aus und ging im matten Schein des Feuers zu seinem Bett.
     
    Die Erschöpfung und der Whisky hätten ihm eigentlich einen erholsamen Schlaf bescheren müssen, doch er fand keine Ruhe. Wann immer er meinte, in den Schlummer zu sinken, tauchte der Wald von Carryarrick vor seinen Augen auf, und wieder lag er hellwach und schweißgebadet da, und sein Herz klopfte zum Zerspringen.
    Sechzehn war er gewesen und unvergleichlich aufgeregt, an seinem

Weitere Kostenlose Bücher