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Ferne Ufer

Titel: Ferne Ufer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana Gabaldon
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Gefangenen waren der bitteren Kälte ausgeliefert.
    Daher war man übereingekommen, daß demjenigen, der eine Geschichte zu erzählen hatte oder der ein Lied zum besten geben wollte, für die Dauer seines Auftritts der Platz an der Feuerstelle gebührte. Das sei überliefertes Bardenrecht, hatte Mac Dubh erklärt. In früheren Zeiten hatte man den Barden in den alten Burgen ein warmes Plätzchen angeboten und sie ausreichend mit Essen und Trinken versorgt. Damit bezeugte der Schloßherr seine Gastfreundschaft. Zwar konnte hier niemand Essen und Trinken entbehren, aber wenigstens der warme Platz war gesichert.
    Hayes schloß die Augen. Mit glücklichem Gesichtsausdruck streckte er die Hände dem Feuer entgegen. Das ungeduldige Drängen von beiden Seiten ließ ihn jedoch die Augen hastig wieder öffnen, und er begann zu sprechen.
    »Ich hab’ ihn gesehen, als er aus der Kutsche stieg, und noch einmal, als ich einen Teller mit Naschwerk aus der Küche hochgebracht habe und er mit dem hübschen Harry ein Schwätzchen hielt.« Angestrengt zog Hayes die Stirn in Falten.
    »Er ist blond und hat die langen Locken mit einem blauen Band zusammengebunden. Dazu große Augen mit langen Wimpern wie ein Mädel.« Den schrägen Blick auf seine Zuhörer gerichtet, klimperte er kokett mit den borstigen Wimpern.
    Von dem Gelächter ermutigt, begann er, den neuen Kommandanten zu beschreiben: seine Kleidung, die »fein wie die eines
Gutsherrn« sei, seine Kutsche und seinen Diener, der »wie die Engländer« wäre und »auch so redete, als hätte er sich die Zunge verbrannt«. Und er berichtete, was er von den Worten des neuen Mannes aufgeschnappt hatte.
    »Er redet wie einer, der sich auskennt«, meinte Hayes und schüttelte zweifelnd den Kopf, »obwohl er ausschaut wie ein Milchbart. Aber wahrscheinlich ist er älter, als er wirkt.«
    »Aye, ein Winzling, kleiner als Angus«, fiel Baird zustimmend ein und deutete mit einer Kopfbewegung auf Angus MacKenzie, der erschrocken an sich herunterblickte. Als er an der Seite seines Vaters in Culloden gekämpft hatte, war Angus zwölf Jahre alt gewesen. Annähernd die Hälfte seines Lebens hatte er in Ardsmuir zugebracht, und bei der mageren Essensration war er nicht wesentlich gewachsen.
    »Aye«, stimmte Hayes zu, »aber er hält sich gerade - als hätte man ihm einen Ladestock in den Hintern geschoben.«
    Bei seiner Beschreibung brach lautes Gelächter aus, gefolgt von anstößigen Bemerkungen. Hayes machte Ogilvie Platz, der eine lange, skurrile Geschichte über den Herrn von Donibristle und die Tochter des Schweinehirten erzählen wollte. Hayes trat bereitwillig von der Feuerstelle zurück und setzte sich - der Sitte folgend - neben Mac Dubh.
    Mac Dubh beanspruchte nie den Platz an der Feuerstelle, selbst wenn er ihnen die langen Geschichten aus den Büchern erzählte, die er gelesen hatte: Die Abenteuer des Roderick Random oder Tom Jones, die Geschichte eines Findlings , oder ihre Lieblingsgeschichte: Robinson Crusoe . Er erklärte, er brauche Raum für seine langen Beine, und saß stets am selben Fleck in der Ecke. Für gewöhnlich setzten sich die Männer, nachdem sie den Feuerplatz wieder frei gemacht hatten, neben ihn auf die Bank und ließen ihn an der Wärme teilhaben, die von ihren Kleidern ausging.
    »Wirst du morgen mit dem neuen Kommandanten reden, Mac Dubh?« fragte Hayes, als er sich niedersetzte. »Ich habe Billy Malcolm getroffen, als er vom Torfstechen zurückkam. Er hat mir zugerufen, die Ratten in ihrer Zelle wären schrecklich frech geworden. Sechs Männer sind diese Woche im Schlaf gebissen worden; bei zweien eitert die Wunde.«
    Mac Dubh schüttelte den Kopf und kratzte sich am Kinn. Vor
seiner wöchentlichen Audienz bei Harry Quarry war ihm immer eine Rasur zugestanden worden. Aber weil das letzte Zusammentreffen jetzt schon fünf Tage zurücklag, sprossen auf seinem Kinn kräftige, rote Stoppeln.
    »Ich weiß nicht, Gavin«, erwiderte er. »Quarry hat gesagt, er würde dem neuen Mann von unserer Vereinbarung erzählen, aber vielleicht hat er ja seine eigenen Vorstellungen. Wenn man mich zu ihm ruft, werde ich ihm natürlich von den Ratten erzählen. Hat Malcolm nach Morrison geschickt, damit er sich die Wunden ansieht?« Im Gefängnis gab es keinen Arzt. Morrison, der sich auf Krankheiten verstand, hatte auf Mac Dubhs Bitte hin die Erlaubnis der Wärter, sich um die Kranken oder Verletzten zu kümmern.
    Hayes schüttelte den Kopf. »Mehr konnte er nicht sagen, sie

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