Ferne Ufer
ersten Feldzug teilzunehmen. Damals hatte er sein Patent noch nicht, doch sein Bruder Hal ließ ihn einfach mitmarschieren, damit er sich einen Eindruck vom Soldatenleben verschaffen konnte.
Sie waren unterwegs nach Preston, wo sie zu General Cope stoßen wollten. Als sie eines Abends in der Nähe eines dunklen Waldes ihre Zelte aufgeschlagen hatten, konnte John vor Aufregung keinen Schlaf finden. Wie würde die Schlacht wohl sein? Cope war ein ausgezeichneter General, darin waren sich Hals Freunde einig, doch die Männer an den Feuern erzählten sich furchterregende Geschichten von den wilden Schotten. Würde er den Mut aufbringen, sich dem schrecklichen Angriff entgegenzustellen?
Nicht einmal Hector konnte er seine Ängste gestehen. Hector liebte ihn, aber Hector war schon zwanzig, groß, kräftig und furchtlos, hatte ein Leutnantspatent und wußte lauter spannende Geschichten über seine Schlachten in Frankreich zu berichten.
Nicht einmal heute konnte er sagen, ob er Hector mit seiner Tat hatte nacheifern oder ihn nur hatte beeindrucken wollen. Aber was auch immer - sobald er den Schotten im Wald sah, den er von Flugblättern her als den berüchtigten roten Jamie erkannte, faßte er den Entschluß, ihn zu töten oder zu fangen.
Zwar schoß ihm damals wirklich durch den Kopf, zum Lager zurückzugehen und Hilfe zu holen, aber der Mann war allein - so hatte John zumindest angenommen - und saß, offensichtlich nichts Böses ahnend, still auf einem Baumstamm und kaute an einem Stück Brot.
Und so hatte er sein Messer aus dem Gürtel gezogen und sich lautlos durch den Wald an den Schotten mit dem leuchtendroten Schopf herangeschlichen, den sicheren Ruhm und Hectors Lob vor Augen.
Statt dessen traf ihn aus dem Nichts ein plötzlicher Schlag, als der Schotte auf ihn zusprang, und dann…
Bei der Erinnerung wurde ihm ganz heiß, und er warf sich von einer Seite auf die andere. Die Kämpfenden hatten sich in dem raschelnden Eichenlaub gewälzt, das Messer zu fassen versucht, aufeinander eingeschlagen - als ginge es um Leben und Tod, so hatte er zumindest angenommen.
Zunächst hatte der Schotte unter ihm gelegen, schließlich aber die Oberhand gewonnen. John hatte früher einmal eine große Schlange berührt, einen Python, die ein Freund seines Onkels aus Indien mitgebracht hatte. Frasers Berührung war ähnlich, leicht und glatt und unbeschreiblich kraftvoll.
Schmählich hatte er ihn ins Laub geworfen und ihm das Handgelenk schmerzhaft auf den Rücken gedreht. In Todesangst hatte er seine ganze Kraft eingesetzt, um den Arm frei zu bekommen. Der Knochen splitterte, und er verlor das Bewußtsein.
Als er wieder zu sich gekommen war, lehnte er an einem Baum und sah sich von wild aussehenden Schotten umringt. In ihrer Mitte stand Jamie Fraser - und die Frau.
Grey biß die Zähne zusammen. Verflucht soll sie sein! Wenn sie nicht gewesen wäre, Gott weiß, welchen Lauf die Dinge genommen hätten. Sie war Engländerin und ihrem Akzent nach aus gutem Hause, weshalb er - Idiot, der er war! - sofort geschlossen hatte, sie sei die Geisel dieser üblen Bande und sollte geschändet werden. Schließlich war allgemein bekannt, daß die Hochlandschotten jede Engländerin, derer sie habhaft werden konnten, entehrten. Woher hatte er wissen sollen, daß das nicht stimmte? John William Grey, sechzehn Jahre alt und erfüllt von Edelmut und hehren Zielen, verwundet, zerschlagen und gegen den Schmerz ankämpfend,
wollte eine Abmachung aushandeln, um sie vor ihrem Schicksal zu bewahren. Aber Fraser, hoch aufgerichtet und spöttisch, ließ ihn zappeln. Er riß der Frau das Mieder vom Leib, um Einzelheiten über die Lage und Stärke des Regiments seines Bruders aus ihm herauszupressen. Nachdem er ihm alles gesagt hatte, was er wußte, offenbarte Fraser ihm lachend, daß die Frau seine Gattin sei. Auch die anderen lachten ihren Hohn heraus, und noch heute hafteten ihm die derben, dröhnenden Stimmen der Schotten im Gedächtnis.
Fraser hatte nicht einmal den Anstand besessen, ihn zu töten. Statt dessen fesselte er ihn an einen Baum, wo ihn seine Freunde am folgenden Morgen finden sollten. Aber bis dahin hatten Frasers Männer dem Lager schon längst einen Besuch abgestattet und - dank der Einzelheiten, die er ihnen gegeben hatte - die Kanone außer Gefecht gesetzt.
Natürlich waren sie dahintergekommen. Zwar entschuldigten sie ihn wegen seines Alters und weil er noch kein Soldat war, aber er spürte ihre Verachtung. Niemand sprach mehr
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