Ferne Ufer
waren auf dem Vorbeimarsch.«
»Am besten schicke ich Morrison«, entschied Mac Dubh. »Er kann Billy fragen, ob noch was anderes anliegt.« Es gab vier Hauptzellen, in denen jeweils eine große Anzahl von Häftlingen untergebracht waren. Durch Morrison und die Arbeitstrupps, die täglich in den Steinbruch oder zum Torfstechen gingen, konnten sie sich miteinander verständigen.
Morrison erschien sofort, nachdem man ihn gerufen hatte, und steckte vier der Rattenschädel ein, die die Häftlinge für ihr improvisiertes Damespiel verwendeten. Mac Dubh griff unter die Bank und zog die Stofftasche hervor, die er stets bei sich trug, wenn es ins Moor ging.
»O nein, nicht schon wieder diese verdammten Brennesseln«, protestierte Morrison, als er sah, wie Mac Dubh mit verzerrtem Gesicht in der Tasche wühlte. »Ich kann die Männer nicht dazu bringen, dieses Zeug zu essen. Sie fragen mich, ob ich sie für Kühe oder Schweine halte.«
Vorsichtig zog Mac Dubh eine Handvoll welker Stengel heraus und saugte an seinen zerstochenen Fingern.
»Eigensinnig wie die Schweine sind sie jedenfalls«, bemerkte er. »Es sind doch nur Brennesseln. Wie oft soll ich dir das noch sagen, Morrison? Zerstampfe Stengel und Blätter zu Brei. Oder koch einen Tee daraus und laß sie den trinken. Und sag ihnen, ich hätte noch nie Schweine Tee trinken sehen.«
Morrison verzog das runzelige Gesicht zu einem Grinsen. Er war
alt und erfahren und kam mit widerspenstigen Patienten bestens zurecht. Er murrte nur gern.
»Aye, ich werde sie fragen, ob sie jemals eine zahnlose Kuh gesehen haben«, gab er schließlich nach und steckte die welken Pflanzen in seine Tasche. »Vielleicht glauben sie dann, daß das Grünzeug gegen Skorbut hilft«, fügte er hinzu, ehe er verschwand.
Mac Dubh entspannte sich. Er ließ den Blick durch die Zelle wandern, um sich zu vergewissern, daß sich kein Streit zusammenbraute. Derzeit herrschten Fehden. Eine Woche zuvor hatte er eine Meinungsverschiedenheit zwischen Bobby Sinclair und Edwin Murray geschlichtet. Sie waren zwar keine Freunde geworden, gingen sich jetzt aber zumindest aus dem Weg.
Müde schloß er die Augen. Den ganzen Tag hatte er Steine geschleppt. In Kürze würde man ihnen die Nachtmahlzeit bringen - eine Schüssel Haferbrei und etwas Brot, das untereinander aufgeteilt werden mußte, und wenn sie Glück hatten, ein wenig Brühe. Danach würden sich die meisten Männer vermutlich schlafen legen. Das bedeutete für ihn ein paar friedvolle Minuten.
Bisher hatte er noch keine Zeit gehabt, über den neuen Kommandanten nachzudenken. Jung sei er, hatte Hayes gesagt. Das mochte gut, konnte aber auch schlecht sein.
Die Älteren, die bei dem Aufstand mitgekämpft hatten, hegten oftmals Vorurteile gegen die Schotten - Bogle, der ihn in Ketten gelegt hatte, hatte an Copes Seite gekämpft. Aber ein verängstigter junger Soldat, der eine anspruchsvolle Aufgabe meistern wollte, könnte sich als grausamer erweisen als so manch barscher alter Oberst. Aber es ließ sich nicht ändern, man mußte abwarten.
Seufzend veränderte er seine Haltung und fühlte sich - zum zehntausendstenmal - eingeengt durch die Ketten. Er empfand es als furchtbar, die Arme nicht weiter als einen halben Meter ausbreiten zu können.
»Mac Dubh«, rief eine leise Stimme neben ihm. »Ein Wort im Vertrauen, wenn du gestattest.« Mac Dubh öffnete die Augen. Neben ihm kauerte Ronnie Sutherland. Der schwache Schein des Feuers verlieh seinem spitzen Gesicht etwas Fuchsähnliches.
»Aye, Ronnie, sicher.« Er setzte sich gerade hin und verbannte die Ketten wie auch den neuen Kommandanten aus seinen Gedanken.
Liebste Mutter , schrieb John Grey am Abend desselben Tages.
Ich bin sicher angekommen und empfinde meinen neuen Posten als angenehm. Mein Vorgänger, Oberst Quarry - er ist der Neffe des Herzogs von Clarence, erinnerst Du dich? - hat mich willkommen geheißen und mich in meine Aufgabe eingeführt. Mir steht ein ausgezeichneter Bursche zur Seite. Zwar ist mir in Schottland zunächst vieles noch fremd, aber ich bin guten Mutes, daß ich diesem Aufenthalt Interessantes abgewinnen werde. Zum Abendessen wurde mir etwas serviert, was sich ›Haggis‹ nennt, wie mir der Bursche erklärte. Diese Speise entpuppte sich als ein Schafsmagen, der mit Hafermehl und nicht eindeutig erkennbaren Fleischbrocken gefüllt war. Obwohl man mir versicherte, daß das Gericht bei den Schotten als besondere Delikatesse gilt, habe ich es in die Küche
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