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Ferne Ufer

Titel: Ferne Ufer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana Gabaldon
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noch einmal um.
    »Ach, noch etwas. Falls Sie mit Fraser allein essen, wenden Sie ihm nicht den Rücken zu!« Quarrys widerwärtige Spaßhaftigkeit war wie weggeblasen. Grey warf ihm einen finsteren Blick zu, aber nichts ließ erkennen, daß die Warnung scherzhaft gemeint war.
    »Damit ist es mir ernst«, fügte Quarry eindringlich hinzu. »Zwar trägt er Hand- und Fußschellen, aber es ist ein leichtes, einen Menschen mit der Kette zu erdrosseln. Und Fraser ist ein kräftiger Kerl.«
    »Ich weiß.« Voll Zorn spürte Grey, wie ihm das Blut in die Wangen stieg. Um es zu verbergen, wandte er sich rasch dem halb geöffneten Fenster zu und kühlte sein Gesicht im Luftzug. »Aber«, sagte er zu den regennassen grauen Steinen unten im Hof, »wenn er so klug ist, wie Sie sagen, wird er mich wohl kaum in meinem Quartier mitten im Gefängnis angreifen. Was würde er damit erreichen?«
    Quarry antwortete nicht. Nach einer Weile drehte Grey sich um und blickte in das breite, rötliche Gesicht seines Gegenübers, aus dem jede Spur von Spott gewichen war.
    »Verstand«, entgegnete Quarry nachdenklich, »ist nicht alles. Aber Sie sind wohl noch zu jung, um erlebt zu haben, wie eng Haß und Verzweiflung beieinander liegen. Vor allem in Schottland in den letzten zehn Jahren.« Er neigte den Kopf und betrachtete den neuen Kommandanten von Ardsmuir mit der Überlegenheit des um fünfzehn Jahre älteren.
    Major Grey war in der Tat nicht älter als sechsundzwanzig, mit hellem Teint und mädchenhaften Wimpern, die ihn noch jünger wirken ließen, als er war. Zu diesem Nachteil gesellte sich der Umstand, daß er drei oder vier Zentimeter kleiner war als der Durchschnitt und zudem von feinem Körperbau. Er straffte die Schultern.

    »Ich weiß um die Existenz derartiger Dinge, Oberst«, erwiderte er gelassen. Wie er selbst war Quarry ein jüngerer Sohn aus guter Familie, aber da der andere einen höheren Rang bekleidete, mußte er sich zügeln.
    Quarry sah Grey nachdenklich an.
    »Vermutlich.«
    Abrupt setzte er sich den Hut auf. Dann strich er sich über die dunkle Narbe an der Wange - eine Erinnerung an das fatale Duell, das der Grund für seine Verbannung nach Ardsmuir gewesen war.
    »Was Sie getan haben, um hier zu landen, weiß Gott allein, Grey«, sagte er und schüttelte den Kopf. »Aber um Ihretwillen hoffe ich, daß Sie es verdient haben. Viel Glück!« Sein blauer Umhang wirbelte herum, und schon war er verschwunden.
     
    »Von zwei Übeln ist mir das lieber, das ich kenne«, erklärte Murdo Lindsay und schüttelte kummervoll den Kopf. »So schlecht war der hübsche Harry gar nicht.«
    »Stimmt«, gab Kenny Lesley ihm recht. »Aber du warst schon hier, als er kam, oder? Harry war um vieles besser als Bogle, dieses Drecksgesicht, aye?«
    »Aye«, entgegnete Murdo verblüfft. »Worauf willst du hinaus, Mann?«
    »Wenn also der Hübsche besser war als Bogle«, erklärte Leslie geduldig, »dann war der Hübsche das Übel, das wir nicht gekannt haben, und Bogle das Übel, das wir gekannt haben. Und trotzdem war der Hübsche besser. Also hast du dich getäuscht, Mann.«
    »Ich?« Murdo, völlig verwirrt von dieser Logik, blickte Lesley finster an. »Nein, habe ich nicht.«
    »Doch«, entgegnete Lesley unwirsch. »Wie immer, Murdo! Weshalb fängst du überhaupt noch einen Streit an, wenn du doch nie gewinnst?«
    »Ich streite nicht!« wehrte sich Murdo entrüstet. »Du streitest. Ich nicht!«
    »Nur weil du unrecht hast, Mann!« erklärte Lesley. »Wenn du recht gehabt hättest, hätte ich keinen Ton gesagt.«
    »Aber ich habe recht. Glaube ich wenigstens«, murmelte Murdo. Inzwischen wußte er nicht mehr recht, was er überhaupt
gesagt hatte. Und so drehte er sich zu der stattlichen Gestalt um, die in der Ecke saß. »Mac Dubh, habe ich mich geirrt?«
    Der hochgewachsene Mann streckte sich und lachte. Dabei rasselten leise seine Ketten.
    »Nein, Murdo, hast du nicht. Aber wir wissen noch nicht, ob du recht hast. Das wissen wir erst, wenn wir uns den Neuen angeschaut haben, aye?« Als er merkte, wie Lesley die Brauen runzelte und abermals zum Sprechen ansetzte, hob Mac Dubh die Stimme und fragte die Anwesenden: »Hat schon jemand den neuen Kommandaten zu Gesicht bekommen? Johnson? MacTavish?«
    »Ich habe ihn gesehen«, rief Hayes und drängte bereitwillig nach vorne, um sich die Hände am Feuer zu wärmen. In der großen Zelle gab es nur eine Feuerstelle, die höchstens sechs Männern gleichzeitig Platz bot. Die restlichen vierzig

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