Ferne Ufer
den Beinen und fühlte sich träge und töricht.
Fraser hatte ebenso lange nicht mehr geschlafen, doch nichts deutete darauf hin, daß ihm dies zu schaffen machte. Emsig kroch er auf den Knien umher und pflückte offenbar Unkraut, das im Wasser wuchs.
»Was tun Sie da, Mr. Fraser?« fragte Grey ihn erstaunt. Überrascht, doch nicht im mindesten verlegen, hob Fraser den Kopf.
»Ich pflücke Brunnenkresse.«
»Das sehe ich«, meinte Grey gereizt. »Wozu?«
»Um sie zu essen, Major«, entgegnete Fraser gleichmütig. Er nahm die fleckige Leinentasche vom Gürtel, um das tropfnasse Grünzeug darin zu verstauen.
»Wirklich? Bekommen Sie nicht genug zu essen?« fragte Grey verblüfft. »Ich habe noch nie gehört, daß sich Menschen von Brunnenkresse ernähren.«
»Sie ist grün, Major.«
Grey hegte den Verdacht, daß Fraser ihn aufzog.
»Welche Farbe sollte Unkraut denn sonst haben, zum Teufel?« wollte er wissen.
Frasers Mundwinkel zuckten.
»Ich will damit nur sagen, Major, wenn Sie Grünzeug essen, bekommen Sie keinen Skorbut, und die Zähne fallen Ihnen nicht aus. Meine Männer essen alle Pflanzen, die mir in die Hände fallen, aber Kresse schmeckt besser als so manches, was ich aus dem Moor mitbringe.«
Fragend zog Grey die Augenbrauen hoch.
»Grünpflanzen verhindern Skorbut?« platzte er heraus. »Woher haben Sie denn diese Weisheit?«
»Von meiner Frau!« entgegnete Fraser heftig. Dann drehte er sich hastig um und verknotete die Riemen seiner Tasche.
Grey konnte nicht umhin, ihn zu fragen: »Ihre Frau, Sir …wo ist sie?«
Fraser beantwortete die Frage mit einem unerwartet brennenden Blick, der dem Major durch Mark und Bein ging.
Aber Sie sind wohl noch zu jung, um erlebt zu haben, wie eng Haß und Verzweiflung beieinanderliegen, hörte Grey Quarry sagen. Es stimmte nicht. Beides erkannte er in diesem Moment in Frasers Augen.
Aber nur kurz. Sofort gewann die gewohnte kühle Höflichkeit wieder die Oberhand.
»Meine Frau weilt nicht mehr unter uns«, erklärte Fraser und wandte sich brüsk, fast unhöflich ab.
Grey durchzuckte ein jähes Gefühl von Erleichterung. Die Frau, die Ursache und Zeugin seiner Demütigung gewesen war, lebte nicht mehr. Aber er verspürte auch ein gewisses Bedauern.
Die Rückfahrt nach Ardsmuir verlief schweigend.
Drei Tage später ergriff Jamie Fraser die Flucht. Es war schon immer einfach gewesen, aus Ardsmuir zu entkommen, doch niemand tat es, weil keiner der Männer wußte, wohin. In drei Meilen Entfernung lagen die Steilküste und das Meer, ansonsten erstreckte sich rings um das Gefängnis meilenweit ödes Moorland.
Einst konnte ein Gefangener in die Heide fliehen und darauf hoffen, daß ihn sein Clan und seine Verwandten durchbrachten. Aber die Clans waren niedergeschlagen, die Anghörigen tot, die schottischen Gefangenen verschleppt und fern von der Heimat. Eine Flucht lohnte sich also nicht - außer für Jamie Fraser, der offensichtlich einen Grund dafür besaß.
Die Dragonerpferde wichen nicht vom Weg. Zwar wirkte das Moor neben ihnen glatt wie ein Samtteppich, aber das purpurfarbene Heidekraut breitete sich nur als trügerisch dünne Decke über den sumpfigen, etwa einen Fuß dicken Torf. Selbst das Rotwild hielt sich an feste Schneisen.
Fraser war natürlich nicht zu Pferde. Das hieß, daß der entkommene Gefangene die Wildwechsel nutzen und jeden beliebigen Ort im Moor aufgesucht haben konnte.
Den Geflüchteten zu verfolgen war John Greys Pflicht. Daß er die besten Soldaten seiner Garnison in den Suchtrupp aufnahm, sie hetzte und ihnen kaum einmal eine Rast gönnte, ging darüber hinaus. Natürlich tat er es auch aus Pflichtgefühl, aber vor allem trieb
ihn der drängende Wunsch, das Gold zu finden und die Wertschätzung seiner Vorgesetzten zu erlangen, um aus dem schottischen Exil nach Hause zurückkehren zu können. Außerdem war Zorn im Spiel - und das Gefühl, verraten worden zu sein.
Grey wußte nicht, ob er sich mehr über Frasers Wortbruch ärgern sollte oder darüber, daß er so dumm gewesen war zu glauben, daß ein Highlander - Gentleman oder nicht - ebensoviel Ehrgefühl besaß wie er. Aber wütend war er, und er hatte vor, jede Wildfährte im Moor abzusuchen, um Fraser dingfest zu machen.
Nachdem sie das Moor mühselig durchkämmt hatten, erreichten sie am folgenden Abend weit nach Einbruch der Dunkelheit die Küste. Die Nebelschwaden über den Felsen hatten sich aufgelöst und waren vom Wind aufs Meer getrieben worden. Vor ihnen lag
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