Ferne Ufer
die See, von Klippen abgegrenzt, und hier und dort karge, kleine Inseln.
John Grey stand neben seinem Pferd auf der Anhöhe und sah hinab in das tosende, schwarze Wasser. Glücklicherweise war die Nacht klar. Die Umrisse der nassen Felsen schimmerten im Licht des Halbmonds wie Silberbarren vor schwarzen Schatten.
Nie zuvor hatte er solch einen verlassenen Ort gesehen. Seine gespenstische Schönheit ließ das Blut in seinen Adern gefrieren. Keine Spur von Jamie Fraser. Keine Spur von Leben überhaupt.
Da stieß einer der Männer einen überraschten Schrei aus und zog seine Pistole.
»Dort«, sagte er, »auf den Felsen.«
»Nicht schießen, Dummkopf«, warf ein anderer Soldat ein und packte den Mann am Arm. »Hast du noch nie Seehunde gesehen?«
»Ach so! Nein«, erwiderte der andere dümmlich und ließ seine Pistole sinken.
»Weil sie so seidig sind, nennen die Schotten sie Seidenbären«, sagte der Soldat, der sie entdeckt hatte.
»Seidenbären?« Grey war neugierig geworden. Erwartungsvoll blickte er den Mann an. »Was wissen Sie sonst noch über die Tiere, Sykes?«
Der Soldat zuckte die Schultern und genoß seine augenblickliche Wichtigkeit. »Nicht sehr viel, Mylord. Aber die Leute von hier erzählen sich eine Menge Geschichten über sie. Es heißt, manchmal käme ein Seehund an Land und streift seine Haut ab. Darunter verbirgt
sich eine schöne Frau. Wenn ein Mann die Haut findet und sie versteckt, kann die Frau nicht mehr fortgehen. Das heißt, sie muß bei ihm bleiben und seine Gattin werden. Es sind gute Ehefrauen, Sir. So sagt man jedenfalls.«
»Dann sind sie wenigstens immer naß«, murmelte der erste Soldat. Die Männer brachen in schallendes Gelächter aus.
»Genug!« Grey mußte seine Stimme erheben, um das Gelächter und die zotigen Bemerkungen zu übertönen.
»Verteilen Sie sich!« befahl er. »Suchen Sie die Klippen in beide Richtungen ab, und halten Sie nach Booten unter den Felsen Ausschau.«
Verlegen gehorchten die Männer. Eine Stunde später kehrten sie durchnäßt und mit leeren Händen zurück.
Als die Morgendämmerung die nassen Felsen in rotgoldenes Licht tauchte, schwärmten die Dragoner in kleinen Trupps aus, um die Klippen noch einmal gründlich abzusuchen. Vorsichtig kletterten sie über zerklüftete Felsen abwärts.
Doch sie fanden nichts. Grey war auf der Spitze der Klippe neben dem Feuer in Stellung gegangen, um die Suche zu überwachen. Zum Schutz vor dem beißenden Wind hatte er sich in seinen Umhang gehüllt und wurde zur Stärkung regelmäßig von seinem Burschen mit heißem Kaffee versorgt.
Der Mann vom Lime Tree war vom Meer gekommen, seine Kleider waren von Salzwasser durchnäßt gewesen. Wenn Fraser etwas erfahren und für sich behalten oder aber den Entschluß gefaßt hatte, selbst auf die Suche zu gehen, mußte er sich zum Meer gewandt haben. Es fehlte jedoch jede Spur von ihm. Und vom Gold, und das war noch schlimmer.
»Wenn er irgendwo hier ins Wasser gegangen ist, Major, sehen Sie ihn wahrscheinlich nie wieder«, meinte Sergeant Grissom, der neben ihm stand und in die tosende Brandung blickte.
»Dieser Fleck heißt der Teufelskessel, weil es hier ununterbrochen brodelt. Fischer, die hier ertrunken sind, werden nur selten wiedergefunden. Natürlich sind die heimtückischen Strömungen daran schuld, aber die Leute sagen, es sei der Teufel, der die Menschen hinabzieht.«
»Wirklich?« fragte Grey trübsinnig und blickte in die wogende Gischt tief unter ihm. »Das bezweifle ich nicht im geringsten.«
Er drehte sich zum Lagerfeuer.
»Geben Sie Befehl, die Suche bis zum Einbruch der Dunkelheit fortzusetzen, Sergeant. Wenn wir bis dahin nichts gefunden haben, machen wir uns morgen früh auf den Rückweg.«
Grey löste den Blick vom Hals des Pferdes und blinzelte in die Morgendämmerung. Vom Torfrauch und Schlafmangel waren seine Lider geschwollen, und seine Knochen schmerzten von den Nächten, die er auf feuchtem Boden verbracht hatte.
Der Ritt zurück nach Ardsmuir würde höchstens einen Tag in Anspruch nehmen. Die Aussicht auf ein weiches Bett und eine warme Abendmahlzeit beflügelte ihn - andererseits mußte er eine offizielle Mitteilung nach London schreiben, Frasers Flucht gestehen und auch den Grund dafür nennen.
Hinzu kam, daß es heftig in seinen Därmen rumorte. Der Major hob die Hand, um einen Halt zu befehlen, und ließ sich erschöpft auf den Boden gleiten.
»Warten Sie hier«, rief er seinen Männern zu. Hundert Meter entfernt erhob
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