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Ferne Ufer

Titel: Ferne Ufer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana Gabaldon
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Fraser sah, dann blickte er respektvoll
auf den Mann im roten Rock, der ihm folgte. An der Treppe stand die Wirtin. Sie hielt ein Öllämpchen in der Hand, dessen Schein die Schatten um sie herum tanzen ließ.
    Erschrocken legte Grey seine Hand auf den Arm des Wirtes.
    »Wer ist das?« Auf den Stufen zeigte sich eine in Schwarz gekleidete Erscheinung.
    »Das ist der Priester«, sagte Fraser neben ihm leise. »Demnach wird der Mann sterben.«
    Grey holte tief Luft, um sich zu wappnen.
    »Jetzt heißt es keine Zeit verschwenden«, erklärte er mit fester Stimme und setzte einen Stiefel auf die Stufe. »Gehen wir.«
     
    Kurz vor Morgengrauen starb der Mann. Fraser hielt eine Hand, der Priester die andere. Als sich der Geistliche über das Bett beugte, gälische und lateinische Worte murmelte und ein Kreuz über dem Leichnam schlug, lehnte sich Fraser mit geschlossenen Augen auf seinem Schemel zurück.
    Seit ihrer Ankunft hatte der Schotte neben dem Mann gesessen, ihm zugehört, ihn ermuntert und getröstet. Grey hatte an der Tür gewartet, weil er den Kranken nicht durch den Anblick seiner Uniform hatte erschrecken wollen. Frasers Sanftheit überraschte und berührte ihn.
    Nun legte Fraser die schmale, wettergegerbte Hand des Toten behutsam auf dessen Brust und bekreuzigte sich. Dann öffnete der die Augen und stand auf. Er nickte Grey zu und folgte ihm die schmale Treppe hinab.
    »Hier hinein.« Grey deutete auf die Schankstube, in der um diese Zeit niemand saß. Nachdem ein verschlafenes Mädchen Feuer für sie gemacht und Brot und Ale gebracht hatte, verschwand sie. Nun waren sie allein.
    Grey wartete, bis Fraser einen Schluck getrunken hatte.
    »Nun, Mr. Fraser?«
    Der Schotte setzte den Zinnbecher ab und wischte sich mit der Hand über den Mund.
    Wegen seines Bartes und des langen, zu einem Zopf geflochtenen Haars sah man ihm die Nachtwache nicht an. Allein die dunklen Ringe unter den Augen verrieten seine Müdigkeit.
    »Gut«, sagte er. »Es ergibt nicht viel Sinn, aber mehr hat er nicht
gesagt.« Fraser sprach langsam, hielt zuweilen inne, um sich ein Wort ins Gedächtnis zurückzurufen, oder unterbrach seine Rede, um eine gälische Bemerkung zu erläutern. Greys Enttäuschung wuchs zusehends. Fraser hatte recht - es ergab nicht viel Sinn.
    »Die weiße Hexe?« unterbrach ihn Grey. »Er hat von einer weißen Hexe gesprochen? Und von Seehunden?« Zwar waren diese Worte auch nicht viel unsinniger als der Rest, doch Grey konnte seinen Unglauben nicht verbergen.
    »Aye.«
    »Dann wiederholen Sie alles noch einmal. So genau wie möglich«, befahl Grey. Und fügte hinzu: »Wenn ich bitten darf.«
    Überraschenderweise fühlte er sich in der Gesellschaft dieses Mannes wohl. Zum Teil lag das natürlich an seiner Müdigkeit. Er handelte und fühlte anders als sonst, weil es ihn viel Kraft gekostet hatte, einen Menschen nach und nach sterben zu sehen.
    Die zurückliegenden Stunden kamen Grey unwirklich vor. Und ebenso unwirklich erschien ihm nun das Ende dieser Nacht mit dem roten Jamie in der Schankstube.
    Fraser gehorchte und erzählte alles noch einmal. Abgesehen von dem einen oder anderen Wort deckte sich sein Bericht mit dem ersten, und jene Abschnitte, die auch Grey hatte verstehen können, waren getreu übersetzt.
    Entmutigt schüttelte Grey den Kopf. Lauter Unsinn. Die Worte des Mannes hatten sich also tatsächlich als bloße Wahnvorstellungen erwiesen. Sollte er jemals Gold gesehen haben - und einmal hatte man diesen Eindruck bekommen -, ließ sich doch aus seinen Fieberträumen nicht in Erfahrung bringen, wo und wann das gewesen war.
    »Hat er wirklich nicht mehr gesagt?« Grey klammerte sich an die Hoffnung, daß Fraser möglicherweise einen kurzen Satz, eine Bemerkung ausgelassen hatte, die einen Hinweis auf das verlorene Gold geben könnte.
    Als Fraser den Becher hob, fiel sein Ärmel zurück, und Grey sah den breiten Streifen, an dem die Haut aufgescheuert war. Fraser bemerkte seinen Blick und ließ den Becher sinken. Die Illusion von Kameradschaft zerstob.
    »Major, ich stehe zu meinem Wort«, erklärte Fraser kühl und erhob sich. »Sollen wir jetzt zurückfahren?«

    Während der Fahrt schwiegen sie. Fraser hing seinen Gedanken nach, Grey hatten Müdigkeit und Enttäuschung übermannt. Bei Sonnenaufgang machten sie an einer Quelle Rast.
    Nachdem Grey getrunken hatte, benetzte er sein Gesicht mit Wasser. Die Kälte belebte für kurze Zeit seine Sinne. Er war bereits seit mehr als vierundzwanzig Stunden auf

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