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Ferne Ufer

Titel: Ferne Ufer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana Gabaldon
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Schreibtisch und starrte in den verhangenen Himmel. Er klopfte mit der Feder auf die Schreibplatte, ohne darauf zu achten, daß die scharfe Spitze Spuren hinterließ.
    Sobald Gold erwähnt wurde, stellte eigentlich jeder die Ohren auf. Aber besonders galt das für Grey.
    In den Morgenstunden hatte man im nebeligen Moor unweit des Dorfes einen umherirrenden Mann gefunden. Seine Kleidung war nicht nur vom Nebel durchnäßt, sondern auch vom Meerwasser, und er fieberte so stark, daß sein Geist verwirrt war.
    Seit man ihn gefunden hatte, redete er ohne Unterlaß. Was er sagte, ergab in den Ohren seiner Retter allerdings keinen Sinn. Allem Anschein nach war der Mann Schotte, wenngleich er ein seltsames Kauderwelsch aus Französisch und Gälisch sprach, in dem hin und wieder ein englisches Wort auftauchte. Eins davon lautete »Gold«.

    Bei den Worten Schottland, Gold und Französisch hatte jeder, der in diesem Teil des Landes wohnte und den Jakobitenaufstand bis zum Ende durchgestanden hatte, nur einen Gedanken: das französische Gold. Die Goldbarren, die Louis von Frankreich heimlich zur Unterstützung seines Cousins Charles Stuart geschickt haben sollte. Der Schatz, den er viel zu spät abgeschickt hatte.
    Man erzählte sich, die schottische Armee habe das französische Gold vor der endgültigen Niederlage von Culloden versteckt. Andere meinten, das Gold sei nie in die Hände von Charles Stuart gelangt, sondern unweit der Stelle, an der man es an Land gebracht hatte, zur sicheren Aufbewahrung in einer Höhle versteckt worden.
    Einige behaupteten, das Geheimnis sei verloren, da die Mitwisser in der Schlacht von Culloden getötet worden. Nach Meinung anderer war das Versteck zwar noch bekannt, wurde aber von den Mitgliedern eines schottischen Clans geheimgehalten. Wie auch immer - das Gold war verschwunden. Bis zu jenem Zeitpunkt.
    Französisch und Gälisch. Da Grey etliche Jahre in Frankreich gekämpft hatte, beherrschte er die Sprache des Landes leidlich. Doch weder er noch seine Offiziere sprachen dieses barbarische Gälisch, ausgenommen Sergeant Grissom, der als Kind einige Wörter von seinem schottischen Kindermädchen aufgeschnappt hatte.
    Einem Mann aus dem Dorf konnte er nicht vertrauen. Nicht, wenn diese Geschichte ein Körnchen Wahrheit enthielt. Das französische Gold! Abgesehen von seinem Wert als Schatz - der ohnehin der Krone zustand -, war er für John William Grey von beträchtlichem persönlichen Wert. Der sagenumwobene Goldschatz würde ihm die Möglichkeit geben, nach London und damit in die Zivilisation zurückzukehren. So groß konnte die Schande gar nicht sein, daß sie nicht vom Gold überstrahlt würde.
    Nein, es durfte weder ein Dorfbewohner sein noch einer seiner Offiziere. Dann also ein Gefangener. Ja, am gefahrlosesten war es, einen Gefangenen zu nehmen, denn der konnte die Information nicht zum eigenen Vorteil nutzen.
    Verflucht! Die Gefangenen sprachen samt und sonders Gälisch und viele von ihnen außerdem ein wenig Englisch, aber nur einer
konnte Französisch. Er ist ein gebildeter Mann. Quarrys Worte klangen ihm noch im Ohr.
    »Verflixt!« murmelte er. Es nützte nichts. Allison hatte gesagt, der Wanderer sei sehr krank. Die Zeit war zu knapp, um nach anderen Lösungen zu suchen.
    »Brame!« rief er. Der erschrockene Korporal steckte den Kopf zur Tür herein.
    »Ja, Sir?«
    »Führen Sie den Gefangenen namens James Fraser zu mir. Sofort!«
     
    Kommandant Grey stand hinter seinem Schreibtisch und stützte sich darauf, als wäre das wuchtige Möbelstück tatsächlich das Bollwerk, an das es erinnerte. Die weiße Halsbinde seiner Uniform schnürte ihm die Kehle ein.
    Als sich die Tür öffnete, stockte ihm der Atem. Unter leisem Kettengerassel trat der Schotte vor den Schreibtisch.
    Natürlich hatte er Fraser bereits etliche Male im Hof gesehen, jedoch nie nah genug, um sein Gesicht deutlich erkennen zu können.
    Er hatte sich verändert. Grey war darüber ebenso erschrocken wie erleichtert. In seiner Erinnerung hatte Fraser ein glattrasiertes Gesicht, aus dem entweder düstere Drohung sprach oder heller Spott. Der Mann vor ihm trug einen kurzen Bart und wirkte gelassen und wachsam. Seine tiefblauen Augen schimmerten zwar wie damals, zeigten jedoch kein Zeichen des Erkennens. Schweigend stand der Mann vor dem Schreibtisch und wartete.
    Grey räusperte sich. Immer noch pochte sein Herz heftig, aber schließlich gelang es ihm, seiner Stimme Gleichmut zu verleihen.
    »Mr. Fraser«, sagte er.

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