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Ferne Ufer

Titel: Ferne Ufer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana Gabaldon
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wirklich. Zumindest war es wahrscheinlich. Nur der Glaube daran konnte Fraser zu seiner Flucht bewogen haben.
    Grey musterte den Mann. Fraser hatte die Augen geschlossen und die Lippen aufeinandergepreßt. Der strenge Gesichtsausdruck wurde allerdings von den empfindsamen Lippen wieder gemildert. Grey überlegte, wie er den höflichen Widerstand brechen konnte.
    Die Uhr auf dem Kamin schlug zehn. Kein Laut war zu hören - lediglich die Schritte des wachhabenden Soldaten, der im Gefängnishof vor dem Fenster patrouillierte.
    Weder Gewalt noch Drohungen würden die Wahrheit ans Licht bringen. Widerstrebend erkannte Grey, daß er nur eine Möglichkeit hatte, wenn er die Suche nach dem Gold nicht aufgeben wollte. Er mußte die Gefühle, die er für Fraser hegte, unterdrücken, Quarrys Vorschlag aufnehmen, näher mit ihm bekannt werden und ihm Schritt für Schritt Hinweise auf den verborgenen Schatz entlocken.
    Falls es das Gold tatsächlich gab, ermahnte sich Grey und wandte sich dem Gefangenen zu.
    »Mr. Fraser«, sagte er höflich. »Wollen Sie mir die Ehre erweisen, morgen mit mir in meinem Quartier zu Abend zu essen?«
    Ihm wurde die Befriedigung zuteil, den schottischen Bastard wenigstens überrumpelt zu haben. Frasers blaue Augen weiteten sich, bevor er seiner Überraschung Herr wurde. Einen Augenblick verharrte er schweigend. Dann verneigte er sich elegant, als trüge er Kilt und Plaid und nicht die feuchten Gefängnislumpen.
    »Es ist mir ein Vergnügen, Ihnen Gesellschaft zu leisten, Major«, erwiderte er.
     
    7. März 1755
    Ein Wärter führte Fraser in den Salon, in dem ein gedeckter Tisch bereitstand. Als Grey wenig später aus seinem Schlafzimmer trat, fand er seinen Gast vor dem Bücherregal in eine Ausgabe der Nouvelle Héloïse vertieft.

    »Interessieren Sie sich für französische Romane?« platzte er heraus, bevor ihm bewußt wurde, wie ungläubig seine Frage klang.
    Verdutzt blickte Fraser auf, klappte das Buch zu und stellte es behutsam zurück.
    »Auch ich habe lesen gelernt, Major«, sagte er. Über sein rasiertes Gesicht zog sich eine zarte Röte.
    »Ich meine… natürlich habe ich damit nicht sagen wollen, äh… daß…« Grey wurde so rot, daß Fraser mit seinen rosigen Wangen dagegen fast schon blaß wirkte. Tatsächlich hatte er - allein wegen des schottischen Akzents und der schäbigen Kleidung des anderen - stillschweigend angenommen, sein Gast könne trotz seiner offenkundigen Bildung nicht lesen.
    Jamies Rock mochte schäbig sein, seine Manieren indes waren es nicht. Er überging Greys hastige Entschuldigung und wandte sich erneut dem Bücherregal zu.
    »Ich habe den Männern die Geschichte erzählt, aber es ist lange her, daß ich das Buch in der Hand hatte; ich wollte noch mal das Ende lesen.«
    »Ach so.« Gerade noch rechtzeitig schluckte Grey die Frage hinunter: »Verstehen Ihre Leute denn so etwas?«
    Fraser las den unausgesprochenen Satz offenbar aus Greys Gesicht, denn er erklärte trocken: »Jedes schottische Kind lernt lesen, Major, und bei uns im Hochland hat das Geschichtenerzählen eine lange Tradition.«
    »Ich verstehe.«
    Das Eintreten des Dieners bewahrte Grey vor weiteren Peinlichkeiten. Das Abendessen verlief friedlich, aber ohne angeregte Unterhaltung. Ihr Gespräch beschränkte sich auf Angelegenheiten des Gefängnisses.
     
    Beim nächstenmal ließ der Major den Spieltisch vor dem Kaminfeuer aufstellen und lud Fraser vor dem Essen zu einer Partie Schach ein. Der Schotte zeigte sich zunächst verwundert, nickte dann jedoch zustimmend.
    Da ist mir wirklich ein kleiner Geniestreich gelungen, lobte Grey sich rückblickend. Von dem Zwang befreit, plaudern oder Höflichkeiten austauschen zu müssen, konnten sie einander in Augenschein nehmen, während sie sich schweigend über dem Brett aus
Elfenbein und Ebenholz gegenübersaßen und anhand ihrer Schachzüge abschätzten.
    Als sie sich zum Essen niedersetzten, waren sie sich bereits nicht mehr so fremd, und ihre Unterhaltung verlief zwar zurückhaltend, aber es kam immerhin ein Gespräch zustande. Das Gold hatte Grey nicht erwähnt.
     
    Ihr wöchentliches Zusammentreffen wurde zur Gewohnheit. Grey bemühte sich, es seinem Gast so angenehm wie möglich zu machen, da er hoffte, Fraser würde eine Bemerkung über den Verbleib des Goldes entschlüpfen. Jede noch so behutsame Frage nach den Geschehnissen auf seiner Flucht wurde von dem Schotten mit Schweigen beantwortet.
    Bei Lamm und Kartoffeln versuchte der Kommandant

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