Ferne Ufer
teilgenommen, da er zu der Zeit nach Italien und Frankreich abkommandiert gewesen war, hatte aber mehr als genug über diesen speziellen Feldzug gehört. Auf seiner Fahrt nach Norden, nach Ardsmuir, hatte er unzählige schwarze Mauern gesehen, die aus den verwüsteten Feldern wie Grabhügel emporragten.
Die Highlander waren für ihre unverbrüchliche Treue berühmt. Ein Schotte, der die Hütten in Flammen gesehen hatte, war sicherlich bereit, Gefängnis, Ketten und sogar die Auspeitschung zu ertragen, um seine Familie vor einer Heimsuchung durch englische Soldaten zu bewahren.
Grey griff wieder zur Feder.
Gewiß ist Dir die Starrköpfigkeit der Schotten nicht unbekannt, schrieb er. Insbesondere dieses einen, dachte er ironisch.
Wahrscheinlich wird sich Fraser weder durch Gewalt noch durch Drohungen dazu bewegen lassen, das Versteck des Goldes - so es den Schatz gibt - preiszugeben. Daher habe ich zu ihm als dem Anführer der schottischen Gefangenen eine förmliche Verbindung geknüpft, denn ich hoffe, daß ihm in unseren Gesprächen ein Hinweis entschlüpft. Bisher ohne Erfolg. Aber es gibt noch einen weiteren Ansatzpunkt.
Aus ersichtlichen Gründen, fügte er zögernd hinzu, möchte ich nicht, daß diese Angelegenheit offiziell bekannt wird. Die Aufmerksamkeit auf einen Schatz zu lenken, der durchaus ein Hirngespinst sein konnte, war gefährlich, die Gefahr enttäuscht zu werden, zu groß. Sollte das Gold auftauchen, hatte er immer noch ausreichend Zeit, seine Vorgesetzten darüber in Kenntnis zu setzen und die verdiente Belohnung in Empfang zu nehmen.
Deshalb, lieber Bruder, bitte ich Dich, Näheres über Frasers Familie herauszufinden. Aber bitte achte darauf, daß Deine Nachforschungen kein Aufsehen erregen. Verwandte, wenn es sie gibt, dürfen nichts über meine Absichten erfahren. Ich danke Dir zutiefst für die Bemühungen, die Du meinetwillen auf Dich nimmst.
Dein ergebener Diener und Dich liebender Bruder,
John William Grey
15. Mai 1755
»Wie geht es den Männern, die an la grippe erkrankt sind?« erkundigte sich Grey. Das Abendessen war vorüber, und damit endete auch ihre Unterhaltung über Bücher. Zeit fürs Geschäftliche.
Stirnrunzelnd saß Fraser vor seinem Sherry, dem einzigen alkoholischen Getränk, das er anzunehmen bereit war. Aber er hatte noch nicht davon gekostet, obwohl die Teller bereits vor geraumer Zeit abgetragen worden waren.
»Nicht so gut. Mehr als sechzig sind erkrankt, fünfzehn von ihnen schwer.« Er zögerte. »Darf ich fragen…?«
»Ich kann nichts versprechen, Mr. Fraser, aber fragen dürfen Sie«, erwiderte Grey förmlich. Er hatte kaum an seinem Sherry genippt und das Abendessen fast nicht angerührt. Vor lauter Aufregung hatte er schon den ganzen Tag Magendrücken.
Jamie schwieg eine Weile, um seine Möglichkeiten abzuschätzen. Alles würde er nicht erreichen; er mußte auf das Wichtigste abzielen und Grey gleichzeitig genügend Spielraum lassen, die eine oder andere Bitte abzuschlagen.
»Wir brauchen mehr Decken, Major, mehr Feuerstellen und mehr zu essen. Und Medikamente.«
Grey schwenkte den Sherry in seinem Glas und beobachtete, wie der Schein des Feuers in dem kleinen Strudel aufglühte. Die Alltagsdinge zuerst, ermahnte er sich. Für das andere ist später noch Zeit.
»Wir haben nur noch zwanzig Decken übrig«, entgegnete er. »Aber Sie können sie für die Schwerkranken haben. Die Essensrationen werde ich kaum erhöhen können. Wir haben eine Menge Weizenmehl verloren, als die Lagerhalle eingestürzt ist. Unsere Vorräte sind knapp…«
»Es ist nicht so sehr die Menge«, warf Fraser hastig ein. »Sondern eher die Art der Nahrung. Die Kranken können Brot und Haferbrei schlecht verdauen. Läßt sich nicht vielleicht ein Ersatz finden?« Jedem Mann stand dem Gesetz nach täglich ein Quart Haferbrei und ein kleiner Weizenlaib zu. Zweimal pro Woche gab es darüber hinaus eine dünne Gerstenbrühe, die sonntags mit etwas Fleisch angereichert wurde, um die Männer, die täglich zwölf bis sechzehn Stunden harte Arbeit verrichteten, bei Kräften zu halten.
Grey sah ihn skeptisch an. »Was schlagen Sie vor, Mr. Fraser?«
»Ich nehme an, daß das Gefängnis einen bestimmten Betrag zur Verfügung hat, mit dem gepökeltes Rindfleisch, Rüben und Zwiebeln für die Sonntagssuppe gekauft werden.«
»Richtig, aber dieses Geld muß für die Vorräte des kommenden Vierteljahres ausreichen.«
»Dann schlage ich vor, Major, daß Sie diese Summe im Augenblick
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